Sex and Crime auf Königsthronen
Zubettbringens den König nicht in den Ruf einer Bangbüx bringt, macht jeder Diener da, wo er das Bett des Gesalbten berührt hat, ein Kreuzzeichen und küsst dieses.
Doch allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz kann der König den erfolgreichsten Killern seiner Zeit nicht die Stirn bieten: Bazillen, Viren und Bakterien. Sein Thronerbe Arthur stirbt im regenreichen April 1502, kaum sechzehnjährig und eben frisch vermählt mit der spanischen Prinzessin Katharina von Aragon, in seiner feuchten Waliser Burg Ludlow. Mutmaßlich an einer Lungenentzündung, vielleicht aber auch an ererbter Tuberkulose wie andere Tudors nach ihm. Seine Frau Katharina, von der wir noch viel hören werden, entrinnt knapp demselben Schicksal. Der elfjährige Heinrich rückt zum direkten Thronfolger auf.
Der König, so berichten Zeitgenossen, reagiert dennoch tief verstört. Seine Königin Elisabeth wird herbeigerufen, um den 45-Jährigen zu trösten. »Die Gute« tut es mit dem Hinweis, dass sie jung genug seien, um weitere Erben zu zeugen. Der Versuch, die Nachwuchsschar zu vergrößern, gelingt, doch im Sommer 1502 verliert die 36-jährige Elisabeth erst einen männlichen Fötus, im Februar 1503 stirbt sie bei der Frühgeburt einer Tochter.
Von insgesamt acht Königskindern erreichen nur zwei Mädchen und Heinrich das Erwachsenenalter. Der neue Thronerbe wird Jahre später in einem Brief bekennen, dass ihn in seiner Jugend nichts so tief getroffen hat wie der Tod seiner Mutter. Kein Wunder, denn nun beginnt für den bislang recht fröhlichen und zwanglos erzogenen Prinzen der ganze Ernst des Lebens. Und der hat einen Namen: Margarete Beaufort.
In der Prinzenrolle nur zweite Besetzung
Die machtbewusste Großmutter entdeckt schlagartig ihr Interesse für den bislang übersehenen Enkel. Die unbekümmerten Tage von Eltham haben für Klein Heinrich ein Ende. Der Elfjährige muss in den Hofstaat von Vater und Großmutter übersiedeln.
Ein spanischer Botschafter berichtet nach Hause, dass der neue Prinz unter strengster Bewachung gehalten wird »wie ein Mädchen«. Heinrich muss in einer abgeschlossenen Minikammer hinter der des Vaters schlafen, darf nur zu festgesetzten Zeiten, mit handverlesenen Kumpanen und durch einen einzigen Palastausgang in den Garten.
Bei öffentlichen Auftritten hat der Thronerbe den Mund zu halten. Besonders übel nimmt unser kleiner Ritterfan, der seinem Papa schon mit vierzehn über den Kopf wächst, das absolute Turnierverbot.
Lediglich Ringelstechen und Einzeltraining mit Schwert und Lanze sind dem Königssohn in den Teeniejahren erlaubt. Sprich: das Aufspießen eines Rings mit der Lanze in vollem Galopp und die Pseudotjoste gegen Strohpuppen. Das alles sind schwierige Solonummern, die Heinrich bereits mit vierzehn perfekt beherrscht. Augenzeugen bescheinigen dem jungen Prinzen beste Kampfqualitäten. Welch ein Frust, dass er nicht zum Zweikampf mit anderen Turnierkämpfern in die Schranken reiten darf!
Die Vorsicht ist, mit den Augen von Oma und Papa betrachtet, sinnvoll und nachvollziehbar. Der einzige Tudor-Thronerbe ist zu kostbar, um beim Schaukampf mit Bihänder, Lanze oder Streitaxt zu sterben.
Zumal unter Heinrichs potenziellen Kampfsportpartnern eine Reihe von Höflingen antreten würden, die den Tudors alles andere als freundlich gesinnt sind, weil York-Blut in ihren Adern fließt. Ein kleiner Turnierunfall – oops, Pardon, wie konnte das passieren – wäre eine hübsche Gelegenheit für ein gut getarntes Attentat, und die Thronfolge für rivalisierende Adelsfamilien wäre wieder offen.
Schulstunden statt Schlachtübungen stehen ganz oben auf Heinrichs Stundenplan. Und zwar von neun Uhr morgens, nach der Messe, bis in den Nachmittag; zwischendrin wird kurz gegessen. Immerhin hat Heinrich Glück mit seinem Lehrer. John Skelton ist ein Mann ganz nach dem Geschmack eines Teenagers. Der Gelehrte reißt gern Zoten über Huren, ist trink- und bibelfest und also ein Pädagoge, der Begeisterung für neuen Stoff zu wecken vermag.
Der Unterricht des Elfjährigen basiert auf den modernsten Lehrplänen der Humanisten. Neben der Bibel empfehlen diese die Lektüre der Abenteuerromane des Homer, der Kriegsberichte von Cäsar oder der Schriften von Cicero, daneben Liebeslyrik von Vergil und Ovid. Alles im antiken Original, versteht sich. Die Heldenfahrten des Odysseus, Zyklopenkämpfe und Sirenengesang sowie Cäsars Welteroberung sind ganz nach Heinrichs Geschmack. Er entwickelt sich zu einer Leseratte und zu
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