Sex and Crime auf Königsthronen
einem beängstigend begabten Musterschüler. Gelegentliche Pausen mit Anekdoten über Skeltons Streifzüge durch Londons Hurenschenken werden zum Lernerfolg beigetragen haben.
Heinrich, das ist belegt, interessiert sich früh für die Lustbarkeiten des Pöbels. Auch Berichten über den Volkssport Fußball lauscht er begeistert.
Damit Heinrich sich nicht nur solchen Unsinn merkt, schreibt Skelton für ihn nebenher ein pädagogisches Grundlagenwerk der Prinzenerziehung. Sein Schüler muss daraus Lehrsätze wie folgende auf Lateinisch auswendig lernen: »Vermeide Völlerei.« Unter Historikern gilt dies als Hinweis darauf, dass der Prinz schon früh ein Schmecklecker ist.
Dann: »Sei nicht geizig.« Heinrich wird das beherzigen. Mit dem nächsten Gebot kommt der kleine Tudor allerdings lebenslänglich kaum klar: »Entjungfere keine Mädchen« – abgesehen von der Königin, versteht sich. Und dann noch: »Hole dir Rat bei Philosophen und Poeten«, was eine deutliche Werbung in eigener Sache ist – für Humanisten wie seinen Lehrer John Skelton. Gleichzeitig warnt der Pädagoge den kleinen Prinzen: »Denke stets daran, dass dir Exil und Ruin drohen, denn ähnlich behandelte das Schicksal deine Väter und Vorväter.« Eine finstere Lektion, die Heinrich mit eigenen Erinnerungen an Perkin Warbeck und Konsorten verbinden kann.
Überhaupt sollte man beim Wort Humanist nicht an besonders humane Lehrmethoden oder an Kuschelpädagogik denken. Ohrfeigen, Rute und reichlich Prügel gelten auch unter diesen neuen Pädagogen als bewährte Denkanstöße. Wie handfest Heinrichs Schulstunden verlaufen sind, ist nicht bekannt, doch seinem eigenen Sohn wird Heinrich später einen Prügelknaben beigesellen. Der irische Page Barnaby Fitzpatrick muss die Hiebe für prinzliche Streiche und Patzer einstecken.
Unser Prinz Heinrich scheint den Unterricht trotz handfester Lehrmethoden geliebt zu haben. Der sprachgewandte Königssohn interessiert sich als Teenager auch für Geometrie, neue Mathematik und Astronomie, kennt sich in Geschichte aus, lernt halbwegs gut reimen und dichten. Seine lyrische Seite lebt er am liebsten in der Musik aus. Er beherrscht Flöte, Laute und das Virginal – ein erster, mittelalterlicher Vorläufer des Klaviers. Der junge Tudor entwickelt sich zu einer Art Bildungswunder und Tausendsassa.
Damit die körperliche Ertüchtigung nicht zu kurz kommt, darf der Teenagerprinz nach seinem vierzehnten Geburtstag gelegentlich auch in das Himmelbett eines doppelt so alten, verheirateten Hoffräuleins schlüpfen. Es sind erotische Sportübungen unter königlicher Aufsicht. Das Turngerät heißt Lady Elisabeth Denton, ist die Gouvernante seiner Schwester und eine gute Bekannte von Heinrichs Großmutter. Margarete Beaufort arrangiert das Techtelmechtel zwecks sexueller Aufklärung und um dem Prinzen Minnesang-Flausen auszutreiben.
Heinrich nämlich entwickelt früh das Bedürfnis, hohe, unerreichbare Jungfrauen anzuschmachten wie ein Troubadour, ohne sich um den politischen Vorteil zu scheren.
Sein erstes Objekt der Begierde ist Katharina von Aragon, die Witwe seines Bruders Arthur. Die spanische Königstochter lebt, genau wie Heinrich, so gut wie eingekerkert und isoliert am väterlichen Hof. Man trennt die beiden Teens durch lange Palastkorridore voneinander, obwohl sie theoretisch verlobt sind. Allerdings aus rein politischen Gründen und nur so lange, bis Oma und Papa Tudor – beide Pragmatiker der Macht – eine bessere Partie in Europas Palästen finden.
Die Tudor-Oldies übersehen dabei, dass sie mit der Trennung der Teenies die idealen Bedingungen für eine jugendliche Schmachtromanze schaffen.
Heinrich sieht in der knapp sechs Jahre älteren Spanierin, der man kaum genug Geld zum Essen gibt und die auf Hofreisen über den Stallungen einquartiert wird, sein Ideal der verfolgten Prinzessin. Als edler Ritter will er sie selbstverständlich dereinst erretten. Man ahnt es schon: Die beiden Königskinder dürfen zusammen nicht kommen und haben sich darum heimlich ein bisschen oder sogar schrecklich lieb. Über das Ausmaß der Zuneigung sind die Historiker sich uneins. Fest steht, dass Heinrich seine Katharina als Braut durchaus begehrenswert findet.
Alles könnte für den jungen, romantischen Prinzen recht unterhaltsam sein, wären da nicht das Turnierverbot und – ganz öde – Papas und Omas Nachhilfeunterricht im Fach Staatsgeschäfte. Was man in diesem Zusammenhang gar nicht wörtlich genug nehmen kann.
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