Sex and Crime auf Königsthronen
Bürokraten, vor allem Finanzbeamte, haben es bekanntermaßen nie leicht.
Zudem ist Papa Heinrich sein Leben lang eher humorfrei, an glanzvollen Auftritten wenig interessiert und meist mausgrau gekleidet. Das uralte Herrscherprinzip Brot und Spiele (fürs Volk) ist nicht das Lieblingsmotto des siebten Heinrichs.
Bei seiner Grablegung in Westminster am 21. April 1509, so notiert Spaniens Botschafter, vergießt denn auch niemand eine Träne. Dabei ist das letzte zeremonielle Spektakel um den Pfennigfuchser eindrucksvoll. Unter Chorgesängen reitet am Ende ein strahlender Ritter in der Rüstung des Königs in die Abteikirche von Westminster ein.
Hufgetrappel hallt von den Wänden der Kathedrale. Das bunte Glas der Fenster entlockt der Rüstung farbfunkelnde Blitze. Kardinäle in prangendem Purpur beugen die Knie.
Der unbekannte Soldat steigt ab, bekreuzigt sich vor dem Sarg des verblichenen Monarchen und wird sodann bis aufs knielange Hemd »entrüstet«. Die Kardinäle legen vom königlichen Helm bis zu den Goldsporen jedes Rüstungsteil auf den Altar. So wollen es die uralten Regeln für ein ritterliches Ehrenbegräbnis. Aber, so berichtet der spanische Augenzeuge abfällig nach Hause: Dieser König war kein Ritter, weder höflich noch edel oder großzügig, sondern geizig, verschlagen, freudlos und berechnend.
Auch in Sachen Nachruhm kann Heinrich VII. nicht sonderlich punkten. Trotz seiner prachtvollen Grabstätte, die noch heute zu den Höhepunkten einer Westminster-Besichtigung gehört. In Großbritanniens Schulbüchern kommt er meist kurz oder sehr schlecht weg. Außerhalb der britischen Inseln ist der erste Tudor auf Englands Thron nur Spezialisten und leidenschaftlichen Geschichtsfans bekannt. Gerecht ist das – wie wir nun wissen – nicht. Immerhin hat Heinrich Nummer sieben sich als letzter englischer König seine Krone auf dem Schlachtfeld erkämpft, den Thron also nach bester Rittermanier erlangt.
Bevor nun sein Sohn und Superstar der Tudors die Hauptrolle übernimmt, halten wir noch einmal fest: Die Tudor-Dynastie ist im wahrsten Sinne des Wortes blutjung. Der erste Monarch ist ein Seiteneinsteiger mit Bastard-Genen, der Machthunger und Misstrauen gleichsam mit Margarete Beauforts Muttermilch eingesogen hat.
Sein Erbe Heinrich VIII. besteigt mit siebzehn Jahren einen Thron, für den es immer noch Anwärter mit dickerem Adelsblut gibt. Zu seinen wichtigsten Regierungsaufgaben wird die rasche Produktion von Nachwuchs gehören, denn Heinrich ist der einzige männliche Erbe des neuen Königsgeschlechts.
Heinrich VII. hinterlässt dem Prinzen viel Geld, aber auch ein international zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkenes Reich und eine Dynastie, die sich dringend einen Namen machen muss. Seiner Regierungszeit haften wenig Glanz und ein schlechter Ruf an.
Jetzt ist ein Sohn an der Reihe, der nicht einmal für den Thron gedacht war. Jung Heinrich kann alles anders machen, und das will und tut er. Ob Rittertum im Stile des sagenhaften Königs Artus, antikes Heldentum à la Odysseus, Kultur und Gelehrsamkeit der Renaissance: Heinrich nutzt alles als Drehbuchvorlage für seine Selbstinszenierung. Er hat physisch, mental und seelisch das Zeug dazu. Und – nicht zu vergessen – Papas prall gefüllte Staatskasse darf er ebenfalls plündern.
In einer stillen Studierstube, vielleicht bei Nacht und im Flackerlicht einer Talgfunzel, sinniert ein heute unbekannter Gelehrter kurz vor der Krönung über Prinz Heinrichs Zukunft als König. Am Ende kratzt der einsame Denker ein orientalisches Sprichwort aus dem 14. Jahrhundert aufs Papier:
»Jugend, Reichtum im Überfluss, hohe Geburt und Unerfahrenheit: Jedes von diesen ist ein Quell des Untergangs. Welches also ist das Schicksal desjenigen, in dem sich alle vier vereinen?«
A star is born – Ein goldener Prinz erobert das Herz des Volkes
London am 23. April 1509, Tag des Heiligen Ritters Sankt Georg. Zwei Tage sind vergangen, seit Heinrichs Vater im Palast von Richmond der Schwindsucht und dem Bluthusten erlegen ist. Tod hin oder her, sein siebzehnjähriger Sohn findet keine Zeit und kaum Gründe für Tränen. Jung Heinrich muss die erste Regierungspflicht eines neuen Monarchen erfüllen: sich dem Volk zeigen.
Nicht umsonst hat man ihm die Todesnachricht in klassischer Weise überbracht: »Sire, der König ist tot, lang lebe der König.«
Heimlich hat der neue Heinrich schon Tage zuvor auf Schmierzetteln seine neue, lateinische Unterschrift geübt. Henricus
Weitere Kostenlose Bücher