Sex and Crime auf Königsthronen
königliche Liebespost, bleibt ihrem bewährten Männerfangmuster aber treu. 1526 verschwindet sie erst einmal wieder in ihre Heimat Kent. In London geht die Pest um, drei treue Höflinge Heinrichs sterben, ebenso Mary Boleyns Tarnehemann; selbst Anne erkrankt – oder tut jedenfalls so. Heinrich VIII. ist ihre Abwesenheit aus gesundheitlichen Gründen zwar recht, aber er vermisst seine neue Flamme auch.
In seinen Briefen beschwört der Tudor-Monarch das Hoffräulein Anne:
Meine Herrin und Freundin, ich und mein Herz geben sich in Eure Hände und bitten Euch, uns Eurer Gunst zu empfehlen und in Eurer Zuneigung zu uns nicht durch die Trennung nachzulassen. Es wäre zu grausam, unseren Kummer noch zu vergrößern, da Eure Abwesenheit uns schon genug bereitet (…) Da ich nicht selbst bei Euch sein kann, sende ich Euch, was meiner Person am nächsten kommt, mein Bild, in ein Armband gefasst (…) und wünsche mich an seine Stelle, wann es Euch gefallen mag. Dies von der Hand Eures ergebenen Dieners und Freundes, H.R.
Anne schweigt klug und hartnäckig.
Amors Pfeil, wie er selber schreibt, hat ihn getroffen, und er findet keine Ruhe mehr. Heinrich reitet in der Rolle des stürmischen Verehrers unbegleitet von London nach Kent, um eine Antwort zu erhalten. Vergeblich, wie ein weiterer Brief verrät:
Obwohl es Euch, meiner Herrin, nicht gefallen hat, Euch an das Versprechen zu erinnern, welches Ihr mir bei unserer letzten Begegnung gegeben, dass ich nämlich von Euch Neuigkeiten erfahren und eine Antwort auf meinen letzten Brief erhalten solle, denke ich doch, es zieme sich für einen treuen Diener (da er doch anders nichts erfahren kann), sich nach dem Befinden seiner Herrin zu erkundigen. Um der Pflicht des treuen Dieners zu genügen, sende ich Euch diesen Brief und bitte Euch, mir über Euer Befinden Bericht zu geben (…) und damit Ihr öfter an mich denkt, lasse ich Euch durch diesen Boten einen Rehbock schicken, den ich gestern Abend mit eigener Hand erlegt, in der Hoffnung, dass Ihr öfter an mich denkt, wenn Ihr ihn verspeist.
Keine Frage, Henrys Jagdinstinkt ist geweckt.
Vom gezierten Minne-Französisch wechselt er in seinen Liebesbriefen im Laufe der Monate ins Englische und wird immer deutlicher, je distanzierter Anne sich zeigt:
Ich wünsche mich besonders am Abend in die Arme meines Schatzes, dessen hübsche Brüste (zu englisch: pretty duckies), ich bald zu küssen hoffe.
Doch die gewitzte Beute schlägt weitere Haken, bis der König mehr als ein Armband und selbst erlegtes Wildbret anbietet. Heinrich verspricht Anne den Titel seiner offiziellen und einzigen Mätresse. Das gab es bei ihm noch nie, und die meisten Hofdamen wären begeistert über solch ein Angebot. Anders die kluge Anne, sie kennt schließlich das Schicksal ihrer Schwester Mary und schätzt die Haltbarkeit von Heinrichs Gefühlen realistisch ein.
Mary Boleyn ist seit 1525 abgehakt. Sie hat einen Sohn geboren und stört damit Heinrichs Beuteschema in Sachen bequeme Beischläferin. Marys ebenfalls bequemer Ehemann William Carey ist – wie erwähnt – der Pest erlegen, und damit niemand auf die Idee kommt, der König sei zuständig für das Schicksal der Witwe und ihrer Waisen, schickt er sie in die Provinz. Keinen Penny erhält Mary aus der königlichen Schatulle. Sie gilt als entehrt, und selbst ihre Familie fühlt sich nicht zuständig für die Exkonkubine, die vielleicht so naiv war, den Tudor-Beau tatsächlich zu lieben und an Märchenprinzen zu glauben.
Die clevere Anne ist aus gutem Grund nicht an einer Affäre mit Heinrich VIII. interessiert. Sie will mehr, viel mehr.
Am Neujahrstag 1527 macht die Vielumschwärmte dem liebeskranken König per Post aus Kent klar, was das ist. Sie dankt für seine Gunst, nennt sich seine Dienerin, betont ihre herzlichen Gefühle und ihr Bedauern, dass sie als keusches Fräulein ihr höchstes Gut – die Jungfernschaft – leider, leider nicht riskieren kann. Jungfernschaft, das muss Musik in Heinrichs Ohren gewesen sein.
Anne fügt dem Brief eine kostbare, juwelengeschmückte Goldschmiedearbeit für den Pretiosenfan Heinrich bei: eine kleine Jungfrau am Bug eines sturmumtosten Schiffes. So zierlich kann ein weiblicher Wink mit dem Zaunpfahl sein. Anne nimmt Kurs auf den Hafen einer königlichen Ehe.
Für Heinrich ist die Botschaft unmissverständlich. Anne erwartet von ihm die Scheidung von Katharina, mit der er nunmehr seit 18 Jahren verheiratet ist und mit der er – laut eigenen Aussagen
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