Sex and Crime auf Königsthronen
alarmiert sofort ihren Neffen, Kaiser Karl V. Eine Staatsaffäre ist ab jetzt unvermeidbar.
Wolsey macht zur gleichen Zeit einen fatalen Fehler, er schreibt tatsächlich nach Rom und gibt die Scheidungsverhandlungen damit aus der Hand. In gutem Glauben, schließlich sind solche Annullierungen in Fürstenhäusern üblich und – bei angemessen gottgefälliger Honorierung – eine Formsache.
Wolsey ist sich sicher, dass der Papst ihm helfen wird, schließlich hat er seinen König Heinrich für den Vatikan schon in den Krieg gegen Frankreich geschickt und Luthers Schriften verbrennen lassen. Und der brave Heinrich hat mit der Feder die römische Kirche verteidigt. Ungehorsam gegen den Papst, so hieß es in der Streitschrift, ist eine Todsünde.
Doch Wolseys Brief und die Bitte des englischen Königs treffen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt im Vatikan ein. In Italien schlagen sich Frankreich, Spanien und der Papst nach bekannter Manier wieder einmal die Köpfe um die Vorherrschaft auf dem Stiefel ein. Am 27. Mai 1527 wird Rom von spanischen und deutschen Landsknechtstruppen des Kaisers eingenommen, es wird gebrandschatzt und geplündert. Der Heilige Vater muss in die Engelsburg fliehen und ist nun praktisch der Gefangene Karls V. Und der 27-jährige Kaiser ist eben nicht nur Europas mächtigster Herrscher, sondern dummerweise auch Katharinas Neffe. Man könnte sagen, es steht zehn zu null für die Königin.
Clemens ist in einer Zwickmühle. Verscherzt er es sich mit Karl, könnte dieser den ganzen Kirchenstaat kassieren, verprellt er Heinrich, verliert er einen militärischen Bündnispartner und die satten englischen Kirchenabgaben.
Papst Clemens – für Zögerlichkeit bekannt – entscheidet sich für die Taktik des Aussitzens. Sechs Jahre wird der Nachfolger Petri den Scheidungsfall verschleppen, der von nun an the King’s great matter – des Königs »große Sache« genannt wird.
Prozess um ein Jungfernhäutchen
Während Politiker, Kirchenleute und Diplomaten über die Rechtmäßigkeit von Katharinas Ehe streiten, hat die stolze und fromme Spanierin keinen Zweifel an der juristischen und moralischen Rechtmäßigkeit ihrer Heirat. Sie weigert sich, den Nonnenschleier zu nehmen. Kategorisch lehnt sie es ebenfalls ab, eine Ehe zu dritt zu führen. Mit Anne als Braut zur linken Hand und als Prinzenproduzentin. Auch dafür gibt es Dispense und Beispiele aus anderen Herrscherhäusern, wie Gatte Heinrich zart andeutet. Katharina die Kämpferin wäscht ihm dafür gehörig den Kopf.
Um den bald reichlich genervten Heinrich bei der Stange zu halten, gewährt Anne – so vermuten ihre Biografen – ihrem glühenden Verehrer gelegentlich das, was heute als heavy petting bekannt ist, verweigert aber – um es im Ton des Mittelalters zu formulieren – »die Entsiegelung ihres Brünnleins«.
Mit dem geschickten Hinweis, dass sie nur eheliche Kinder (und damit mögliche Thronerben für England) empfangen will. Eine Taktik, die aufgeht. Genau wie Annes Bemühungen, ihre Liebe als Frömmigkeitsübung zu deklarieren.
Henry schwört ihr einen Eid, keusch zu bleiben, bis die Tinte unter ihrer Heiratsurkunde trocken ist. Das alles gefällt dem Gottgesalbten, denn es eröffnet ihm eine weitere Dimension in Sachen Liebe. Man könnte es sakrale Erotik nennen. Anne und Heinrich vergöttern sich im wahrsten Sinne des Wortes.
Sogar während der (noch) heiligen katholischen Messe tauschen die beiden Liebesbriefchen aus und kritzeln sich Treueschwüre in die Gebetbücher. Ausgerechnet! Eine Notiz des Tudors lautet: »Wenn du meine Liebe so innig in deine Gebete einschließt, wie ich dich bewundere und begehre, vertraue ich darauf, dass du mich nie vergisst. Ich bin dein Heinrich R. (für Rex, also König) für immer.« Mehr geht nicht? Doch.
Die überaus kluge Anne bringt Berater aus dem Kreis des neuen Glaubens ins Spiel, um auch die weltliche Seite ihrer Liebe zu regeln. Sie fördert den Reformer und heimlichen Luther-Leser Thomas Cranmer. Der Oxford-Dozent bringt Heinrich auf die Idee, nicht den Papst, sondern Bibelexperten mit der Eheprüfung zu beauftragen.
Anne legt dem König außerdem Ketzerliteratur auf den Nachttisch, die in Butterfässern auf deutschen und niederländischen Handelsschiffen nach England geschmuggelt wird.
Heinrich findet bald ein brandneues Buch des englischen Bibelübersetzers William Tyndale neben seinem Bett. Tyndale ist in England offiziell als Häretiker angeklagt und muss von Köln und
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