Sex and Crime auf Königsthronen
Holland aus für seinen Glauben streiten. Sein »Gehorsam eines Christenmenschen« begeistert Heinrich dennoch spontan. Vor allem die Stelle, an der Tyndale mithilfe der Bibel nachweist, dass die Autorität über die Kirche nicht dem Papst, sondern dem von Gott gesalbten König des jeweiligen Landes gehört. »Des Königs Gesetz ist Gottes Gesetz.« Heinrichs neue Herrscherformel ist gefunden.
Zu demselben Schluss kommen – von Henry geschmierte – Universitätstheologen aus verschiedenen Ländern Europas. Bibel gegen Papst, Heinrich macht sich einen protestantischen Glaubensgrundsatz zu eigen. Katharina hält mit Gutachten romtreuer Gelehrter und mit Kriegsdrohungen von Kaiser Karl dagegen.
»Wenn wir wollen«, schreibt Spaniens Kanzler an Wolsey, »können wir Heinrich in drei Monaten aus seinem eigenen Reich hinausschmeißen. Welche Gewalt hat dieser König schon?«
Der Papst hält sich weise aus dem Gezänk heraus, außerdem kennt er inzwischen Heinrichs Liebesbriefe. Genau wie der Rest der politischen Welt, die nur noch von des Königs Großhure als Scheidungsgrund spricht. Heinrich ist auf dem besten Weg, sich lächerlich zu machen, und das gefällt ihm ganz und gar nicht.
Erst im Sommer 1529 kann Kardinal Wolsey unter Mühen ein Kirchengericht in London zusammentrommeln, dem allerdings ein päpstlicher Legat aus Rom beiwohnt. Pikanter Verhandlungsgegenstand des europaweit beachteten Prozesses ist Katharinas Jungfernhäutchen.
Verhandelt werden muss, ob die Königin bereits von ihrem ersten Gatten – Arthur – defloriert wurde. In diesem Falle wäre ihre zweite Ehe ungültig. Nicht wegen Moses, Leviticus und der Heiligen Schrift, sondern wegen eines ärgerlichen Formfehlers im alten Ehedispens. Wir erinnern uns: Der 1502 erteilte Freibrief für Katharinas Heirat mit Heinrich gilt nur für den Fall, dass die junge Witwe noch virgo intacta ist. Den zweiten Ehedispens bei Vollzug hat der damalige Papst verschlampt. So kann’s gehen in der Weltgeschichte. Ein kleiner Flüchtigkeitsfehler, und schon bricht das ganze System zusammen. Wir Deutschen kennen das vom Mauerfall, als ein überfordertes Politbüromitglied versehentlich völlige Reisefreiheit für alle DDR -Bürger verkündete. Eine halbe Stunde später wollten die ersten raus; der Rest ist Geschichte.
Zurück nach England anno 1529.
Damals drängen sich auf den Bänken und Fluren des Dominikanerklosters Blackfriars internationale Diplomaten, Höflinge und Scharen von Schaulustigen, die mitbekommen wollen, ob ihr König ihre Königin als Erster beschlafen hat oder nicht. Das Warten lohnt sich.
Noch bevor die eigentliche Verhandlung beginnt, hat Katharina einen eindrucksvollen Auftritt. Die Matrone erscheint im Staatshabit im Saal von Blackfriars, geht vor Heinrich in die Knie, beteuert, sie sei als Jungfrau in die Ehe mit ihm gegangen – wie Heinrich sehr wohl wisse – und dass sie sich immer bemüht habe, eine gute Königin zu sein, und dass sie ihn als Herrn und Meister liebe. Viele Kinder habe sie dem Monarchen geschenkt, beteuert sie mit rauem kastilischen Akzent, doch Gott habe es gefallen, diese zu sich zu rufen. Ein bühnenreifer Monolog, den Shakespeare später beinahe wortwörtlich für sein Drama »Heinrich VIII.« aus den Akten abschreibt.
Zum Schluss merkt Katharina eher beiläufig an, dass ohnehin kein Londoner Gericht, sondern nur eines in Rom für ihren Fall zuständig sei. Sie rauscht aus dem Saal und scheucht alle Diener beiseite, die sie aufhalten und in den Zeugenstand zurückberufen wollen. Mit Männermut vor Königsthronen ist es unter Heinrich nicht weit her, umso beachtlicher ist Katharinas Courage.
Zumal sie inzwischen Einzelkämpferin ist. Ihr Neffe Karl hat einen Rückzieher in Sachen Krieg gemacht, wegen leerer Kassen und einem Nordafrika-Feldzug gegen die Türken. Statt die umstrittene Ehre und Jungfräulichkeit seiner Tante mit Waffen zu verteidigen, hat er schriftliche Anweisung gegeben, Englands Königin zum Rückzug ins Kloster zu bewegen. So viel zu dem Gelöbnis, das auch er in Sachen Jungfern-, Witwen- und Waisenschutz als Ritter vom Goldenen Vlies abgelegt hat.
Katharina hätte es wissen können. Ihr Vater Ferdinand war aus ähnlichem Holz geschnitzt, und Neffe Karl hält seine eigene Mama, ihre Schwester Johanna, seit Jahren in einer Festung gefangen, damit sie ihm nicht die Krone Kastiliens abverlangt, die eigentlich ihr gehört. Seine fadenscheinige Begründung, Johanna sei wahnsinnig – so auch ihr
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