Sex and Crime auf Königsthronen
– seit 1524 keinen fleischlichen Umgang mehr pflegt. Die Boleyn pokert hoch und gewinnt.
Ab Frühjahr 1527 ist ihr Verehrer immer stärker mit dem Gedanken beschäftigt, seine Ehe aufzulösen. Zumal Katharina jetzt 42 Jahre und jenseits des gebärfähigen Alters ist. Die Thronfolgerfrage, so betonen Historiker zu Recht, spielt Anne den wichtigsten Joker und mächtige Pokerpartner in die Hand. Als Heinrich seine Scheidungsgedanken seinem Busenfreund Wolsey offenbart, ist auch der Kardinal begeistert. Von Anne ist zwischen beiden allerdings nicht die Rede.
Der Staatspolitiker Wolsey will Heinrich in zweiter Ehe an eine französische Prinzessin vermählen. Nicht im Traum kommt der geriebene Taktiker auf die Idee, dass ein unwichtiges Ritterfräulein sich als Braut ins Spiel gebracht hat.
Schließlich hat er diesem Landei vor vier Jahren im Namen des Königs noch die Ehe mit Graf Percy verboten. Anne hat in seinen Augen allerhöchstens Bettschatzqualitäten, und wie man mit Konkubinen umgeht, weiß er genau. Er hat schließlich seit Jahren selber eine.
Mehr Kopfzerbrechen bereitet dem Kardinal ein triftiger Scheidungsgrund. Kinderlosigkeit zählt offiziell nicht. Am Ende ist es der König und »Verteidiger des Glaubens«, der die Begründung findet: seine Frömmigkeit.
Eine sündhafte Ehe
Angesichts der lebenssprühenden Anne, die so ganz anders ist als die inzwischen 42-jährige, kränkelnde, verbitterte Katharina, befragt der verliebte König sein Gewissen, und das meldet ihm freundlicherweise, dass seine Leidenschaft keine blinde Vernarrtheit ist, sondern ein Wink Gottes sein muss. Statt in Annes hübschen duckies vergräbt er sich in der Bibel und tatsächlich: Der theologisch versierte König findet eine Bibelstelle, die ihm die Augen für seinen Frevel öffnen: »Wenn einer seines Bruders Weib nimmt, ist das schändlich«, heißt es im 3. Buch Mose und: »Die sollen ohne Kinder sein.« Sakra, darum also fehlt es am Thronerben! Schnell findet er Juristen, die ihm vollkommen rechtgeben.
Spaß beiseite: Wer hinter solchen Argumenten für eine Trennung blanken Zynismus vermutet, irrt. Heinrich, der immerhin zwei männliche Bastarde gezeugt hat, hält seine prinzenlose Ehe wirklich für eine Strafe des Herrn, dem er sich als Gottgesalbter sehr, sehr nah fühlt. Seine Gefühlswelt – und darin ist er bei aller »Modernität« sehr mittelalterlich – ist tief im Glauben verankert.
Heinrich legt Wert darauf, dass »zwischen Gott und meinem Gewissen völlige Übereinstimmung herrscht«. Dass sein Gewissen mitunter bemerkenswert elastisch ist, entgeht ihm wie den meisten seiner Thronkollegen.
Eigentlich, so flüstert ihm nun eine innere Stimme zu, ist er doch gar nicht verheiratet, sondern hat mit Katharina achtzehn Jahre in schwärzester Sünde gelebt. Das muss eine göttliche Eingebung sein. Aufs Höchste alarmiert beauftragt Heinrich seinen Kardinal und den Papstlegat Wolsey, der in England Sachwalter des Heiligen Stuhls ist, mit der sofortigen Aufhebung seiner gott- und fruchtlosen Ehe. In religiösen Notfällen darf ein Kardinal wie Wolsey eine solche Eheannullierung noch vor Rom aussprechen. Der Rest ist dann lästiger Papierkram.
Seiner Gattin Katharina sagt Heinrich nichts davon. Ebenfalls aus frommen Gründen, er will – so behauptet er wirklich – seiner tiefreligiösen Gattin eigene Gewissensqualen ersparen. Auch über den künftigen Verbleib von Katharina macht er sich keine Sorgen, sie kann in ein Kloster gehen. Trägt sie nicht ohnehin längst härene Unterröcke und ist ihr nichts widerwärtiger als der Geruch der Sünde? Ein Nonnendasein muss ihr geradewegs wie ein Geschenk erscheinen. Genau wie die Aufhebung ihrer sündigen Ehe.
Wolsey sieht in der Blitzscheidung ebenfalls kein Problem und organisiert für den 17. Mai 1527 eine geheime Bischofskonferenz in seinem Londoner Palast. Zu seiner Überraschung stellen sich Englands kirchliche Würdenträger ihm erstmals in den Weg.
Der übermächtige Metzgersohn ist ihnen längst ein Dorn im Auge, sie beharren darauf, dass eine so entscheidende Frage wie eine königliche Trennung allein in Rom und von dem mittlerweile amtierenden Papst Clemens VII. beurteilt werden kann.
Mehr noch: Die Bischöfe petzen Wolseys Blitzaktion an die Spanier in London weiter. Schon einen Tag später teilt deren Botschafter der Königin in einem verschlüsselten Brief die Scheidungsabsichten von Heinrich VIII. mit. Die Kriegerin in Katharina erwacht zu neuem Leben, sie
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