Sex and Crime auf Königsthronen
»die Hartnäckige« sucht und findet Anschluss an den Kreis von Königsschwester Maria Tudor. Die ist nach ihrer 83-tägigen Kurzehe mit Frankreichs König Ludwig wieder das It-Girl am Hof und Heinrichs Augapfel. Ihre Clique ist tonangebend, jung und selbstbegeistert nach Tudor-Manier.
Es wird getanzt, gefeiert und heftig geflirtet. Immer öfter funkt es in Richtung Anne. Sie heimst zahlreiche Verehrer-Reime ein – Frühformen der SMS , die in Zettelform heimlich zugestellt werden. Der Hof ist schließlich Heiratsmarkt des jungen Adels. Am französischen Hof hat la Boleyn alle Finessen der Galanterie studiert. Sie ist charmant, gebildet, aber auch bissig und hard to get . Sie ermutigt alle und gewährt keinem ihre Gunst.
Schon nach einem Jahr macht das Ritterfräulein auf diese Weise einen fetten Fang. William Percy, Graf und Alleinerbe von Northumberland, verliebt sich bis über beide Ohren in sie und verspricht ihr die Ehe. Für die Tochter eines kleinen Landadligen ist der Antrag eines steinreichen Mitglieds der Hocharistokratie ein Megaerfolg. Den Lordkanzler Wolsey ihr jedoch im Namen des Königs verbietet. Percy wird Ende 1523 einer Kopfwäsche durch den Kardinal unterzogen und nach Hause geschickt. Für diese Einmischung wird Anne den Königsintimus Wolsey tödlich hassen. Anne zieht sich einige Monate vom Hof zurück, um zu schmollen, und wird allgemein vermisst.
Einige Biografen deuten die Intervention des Kardinals als erstes Zeichen für des Königs Interesse an Anne. Nun, nichts Genaues weiß man nicht; möglich sind auch rein standesrechtliche Vorbehalte gegen die Heirat Percy – Boleyn. Heinrich jedenfalls bleibt in diesen Tagen noch Mary Boleyn treu, freut sich aber sehr über Annes Rückkehr.
Der erste Beweis für Heinrichs Interessensverschiebung zugunsten der Schwester seines Bettschatzes Mary stammt aus dem Jahr 1525 und aus der Feder des Hofpoeten Thomas Wyatt. Der verliebte Poet reimt für Anne ein viel sagendes Sonett:
Wer da zu jagen wünscht, ich weiß ein Wild,
Nicht mir bestimmt, ach, ich vermag’s nicht mehr:
Ermüdet von vergeblicher Beschwer …
Wer da zu jagen wünscht …
Wie ich gar leicht verschwendet er die Zeit,
Graviert in Diamant und aufgereiht
Um ihren hübschen Hals man lesen kann:
Noli me tangere, Caesar bin ich geweiht.
Die letzte Zeile heißt übersetzt in etwa: Finger weg, ich gehöre dem König. Man weiß also Bescheid, wem das Herz von Heinrich jetzt gehört.
1526 soll Heinrich – ebenfalls Poet und Musiker – nachgelegt und für die widerspenstige Anne eine Ballade über grüne Kleiderärmel komponiert haben. Der Song heißt Greensleeves , ist immer noch ein Ohrwurm und beginnt mit der Zeile: »O weh, mein Lieb, tust Unrecht mir.«
Ein Kölner Karnevalsmusikant namens Bernd Stelter, weit weniger bekannt als König Heinrich, hat die Liebesklage 2004 sehr frei in deftige Zeilen übertragen: »Knietief in der Scheiße stehen.«
Mit Liebe hat sein Text nichts zu tun, aber Heinrich Tudor hätte der Titel vielleicht gefallen, und im Rückblick hat er die sich anbahnende Affäre Anne unter Umständen so beschrieben. Im Ernst. Von diesem Einschub müssen Sie sich nichts merken, denn Greensleeves stammt höchstwahrscheinlich nicht aus Heinrichs Feder, auch wenn es noch immer gern behauptet wird.
Gesicherte schriftliche Beweise für Heinrichs heiße Gefühle finden sich hingegen im Vatikan. Dort sind 17 Liebesbriefe des Königs an Anne archiviert, die er zwischen 1526 und 1528 zu Papier brachte. Dass sie um 1529 mysteriöserweise nach Rom gelangten, ist aus mehreren Gründen historisch bemerkenswert.
Zum einen beweist es, dass päpstliche oder spanische Agenten sie nach 007-Manier gemopst haben, zum anderen dass Heinrichs Liebelei von Anfang an eine Staatsaffäre ist. Ansonsten sind die Briefe schlicht niedlich und weit harmloser als das telefonische Tampongeflüster, das weiland Englands derzeitiger Prinz Charles seiner Geliebten Camilla ins Ohr hauchte.
Allerdings sind Heinrichs Geständnisse an Anne Weltpolitik, Prinz Charles’ Ergüsse hingegen seine Privataffäre. Dass diese öffentlich so breitgetreten wurde, hat Englands moderner Thronfolger der politischen Bedeutung von Vorfahren wie den Tudors zu verdanken, der Pressefreiheit und unserer zeitlosen, schadenfrohen Neugier. Heute lauern Paparazzi auf royale Patzer, nicht der Papst. Prinz Charles sollte dem Fortschritt dankbar sein.
Amors Pfeil trifft den einsamen Jäger
Anne freut sich über die
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