Sex and Crime auf Königsthronen
heute übliche »romantische« Liebe enthüllt, wenn sie scheitert, oft ebenfalls materielle Interessen und emotionale Bedürfnisse, die wir im Namen der großen Gefühle anfangs verschweigen. Vor uns selbst und vor dem Partner. Weggesperrt wird im Fall einer Rosenkriegscheidung heute niemand mehr, aber so manche Existenz geht dabei den Bach runter.
Unseren Vorfahren wollten dem nicht nur durch das Scheidungsverbot, sondern auch durch Kontrakte entgegenwirken. Eine Ehe ohne Vertragswerk ist für sie unvorstellbar. Quer durch alle Schichten. Unverzichtbar ist der Vertrag in Adelskreisen. In Sachen Liebe, Ehe und Finanzen sind unsere Vorfahren ehrlicher und bodenständiger, man kann auch sagen: vernünftig.
Wie existenzbedrohend es sein kann, aus reiner (vorübergehender) Verliebtheit zu heiraten – und dabei nicht nach Geld, Gut und Ehevertrag zu fragen –, ist ihnen deutlich bewusst. Und das nicht, weil unsere Vorfahren verliebte Gefühle nicht kennen, sondern gerade weil sie sie kennen. In Ehen sind sie ein unkalkulierbares Risiko. Etwa für Anna von Sachsen, die von ihrem Großvater eindringlich vor dieser Liebesehe gewarnt worden ist. Vergeblich.
Im Scheidungsfall Wilhelm von Oranien mischen sich Politik und Privates so dramatisch wie bei Heinrich VIII. Darum muss – wie schon beim Tudor-König – von beidem erzählt werden.
Vor allem von der ungleichen Verbindung zwischen einer reichen, vernarrten Erbin und einem sozialen Aufsteiger, mit dessen steiler Karriere bei seiner Geburt nicht zu rechnen ist. Statt einem Königreich wird dem kleinen Wilhelm nämlich nur ein Stück deutsches Lummerland mit 50.000 Einwohnern in die Wiege gelegt. Und dynastischer Ehrgeiz, der ihn politisch wendig und privat rücksichtslos macht.
Schauen wir zunächst in die Kinderstube des Prinzen.
Erbarmen, die Hessen kommen
Geboren ist Wilhelm in einem – Pardon an alle Leser aus dem heutigen Hessen – Provinznest namens Dillenburg, wo er auch seine Kindheit verbringt. Sein Vater ist Graf und Reichsfürst eines der kleinsten Feudalstaaten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Nassau-Dillenburg heißt sein Hoheitsgebiet, er selber heißt ebenfalls Wilhelm.
Wilhelm junior, der erstgeborene Sohn des Fürsten, wächst in einer lutherischen Patchworkfamilie heran und wird auch so getauft. Beide Eltern sind verwitwet und haben aus vorangegangenen Ehen insgesamt sechs Kinder mitgebracht. Zwölf gemeinsame sollten folgen. Fruchtbarkeit ist also kein Problem im Hause Nassau. Der Nachwuchs wird ein Leben lang zusammenhalten wie Pech und Schwefel, was in Adelshäusern ein seltener Segen ist, wie wir aus der Familiengeschichte Heinrichs VIII. bereits wissen.
Seine Mutter, Juliane von Stolberg, hat der spätere Prinz sein Leben lang verehrt, den Vater mehr respektiert als geliebt. Star der insgesamt 18-köpfigen Kinderschar von Nassau-Dillenburg wird Wilhelm, als ihm mit elf Jahren Titel und Besitztümer der niederländischen Linie des Hauses Nassau in den Schoß fallen.
Der eigentliche Erbe René von Oranien ist für seinen Kaiser und Lehnsherren im Kampf gegen Frankreich gefallen. Eine Kanonenkugel reißt dem Offizier beim Erkundungsgang in einem Laufgraben nahe der Marne die Schulter weg. Der kinderlose Fürst stirbt qualvoll, hat aber zuvor noch ein Testament gemacht. Er bittet Kaiser Karl V. (1500–1558), der neben dem Feldbett seines hinscheidenden Lieblingsoffiziers ausharrt, es zu vollstrecken.
Unter anderem wird Wilhelm von Dillenburg-Nassau – wie erwähnt – Herr von Orange und damit Prinz. Das Fürstentum aber betritt er sein Leben lang nicht. Meist ist es von den Franzosen besetzt, und dann fließen auch keine Einkünfte. Politisch ist das Erbe jedoch von unschätzbarem Wert. Als Oberhaupt des unabhängigen Winzlingsfürstentums ist Wilhelm noch mit Königen gleichgestellt und leitet daraus später sein Recht ab, gegen den mächtigsten Monarchen der damaligen Welt Krieg führen zu dürfen. Ganz schön mutig.
Neben dem französischen Besitz erbt Wilhelm, wie schon erwähnt, Gebiete in Holland, Zeeland und Brabant, darunter die Stadt Breda samt Kastell, und ein enormes Stadtpalais in Brüssel. Kurz: Der Dillenburger Nassauer zieht einen Sechser im adligen Erbschaftslotto. Sein Papa war schlicht fruchtbarer als Erbonkel René. Eine große Kinderschar kann in Adelsfamilien ein erhebliches Versorgungsproblem darstellen. Im Fall der Nassauer erweist es sich als Hauptgewinn.
Wie der Oranier nassauerte
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