Sex and the Office
Dankbarkeit wäre sicherlich angebracht gewesen, doch er sollte sich ja nicht einbilden, ihm sei alle Schuld verziehen, bloß weil er den Retter spielt! David nickte nur, und während das Vaporetto rumpelnd ablegte, machte er keine Anstalten, mich aufzuhalten.
21
Immer noch Sonntag
Als Leon Wenzel nachts ins Hotelzimmer kam, fand er Charlotte Paul schlafend auf der Couch vor. Sie trug nichts als einen Bademantel und war mit dem Kinn auf der Brust vor dem Fernseher eingenickt. Auf dem Boden lagen Chipstüten und angebrochene Schokoriegel aus der Minibar. Kopfschüttelnd schaltete er den Fernseher aus und rüttelte Charlotte an der Schulter. Sie blinzelte müde und redete wirres Zeug: »Nein, nicht ertrinken … will nicht sterben …«
»Was reden Sie denn da? Niemand muss sterben. Und schon gar nicht in meinem Hotelzimmer.«
Sie war schon wieder eingenickt. Er beugte sich zu ihr hinunter und schlang die Arme um ihren Torso, um sie der Länge nach auf die Couch zu legen, während sie weiter vom Ertrinken fantasierte. Charlotte umgriff halb schlafend, halb wach seine Hand. Leon Wenzel blickte sie eine Weile lang verstohlen an und überlegte, was er tun solle.
22
Montag
Das Klopfen des Zimmermädchens weckte mich viel zu früh am Morgen. Gähnend setzte ich mich auf, da entdeckte ich Leon Wenzel neben mir auf der Couch. Er lag kaum eine Armlänge von mir entfernt, schlief tief und fest wie ein Baby und trug noch immer seinen Smoking, nur die Schuhe hatte er ausgezogen. Ich hatte keine Ahnung, was er auf der Couch verloren hatte, entschied aber, ihn schlafen zu lassen. Rasch verschwand ich ins Badezimmer, zog mich an und schlich aus dem Zimmer.
Bis zum Maskenball, der am Abend im Stil von Stanley Kubricks Eyes Wide Shut von einem Filmverleih im legendären Grand Hotel Excelsior veranstaltet wurde, stand der Tag für mich zur freien Verfügung. Denn wie Leon Wenzel bereits angekündigt hatte, wollte er die am Nachmittag anstehenden Interviews, allesamt mit Nachwuchsschauspielerinnen, von denen ich noch niemals gehört hatte, lieber ohne mich führen. Langsam, aber sicher hatte ich das Gefühl, dass er mich lediglich deshalb mitgenommen hatte, weil ich kein Mitglied der Redaktion mehr war – und er somit ausschließen konnte, dass im Büro die Runde machte, was in Venedig auf Kosten des Senders vor sich ging. Ich beschloss, mir nicht die Laune verderben zu lassen und mir dennoch einen schönen Tag zu machen. Zu dumm nur, dass sich meine Gliedmaßen anfühlten, als hätte ich die ganze Nacht eingepfercht zwischen Zentner schweren Passagieren in einem Flugzeug nach Australien gesessen. Als ich gestern unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, keinesfalls das Bett mit Leon Wenzel zu teilen, war ich gewiss nicht davon ausgegangen, dass ich diejenige wäre, die mit der Couch vorliebnehmen sollte. Andererseits, was hatte ich erwartet? Ich war schließlich nur die Praktikantin. Ich korrigiere: die Ex praktikantin. Während Leon Wenzel es vorzog, den Großteil des Tages am hoteleigenen Dachpool zu verbringen, bevor er am späten Nachmittag einige Interviews führen würde, brach ich gut gelaunt mit einem Reiseführer und meiner alten Leica zu einer Tour durch Venedig auf.
Ich machte einen ausgiebigen Streifzug durch die Museen der Stadt, besuchte die beeindruckenden Paläste und Kirchen und ließ mich im Anschluss zu einem Schaufensterbummel in den Arkaden der Piazza San Marco hinreißen. Als ich am frühen Abend zurückkam, hatte ich das Hotelzimmer ganz für mich allein . Es waren noch zwei Stunden Zeit bis zum Maskenball, und ich machte mich daran, das zweite Kleid meiner Mutter ein wenig abzuändern. Immerhin hatte ich vor Urzeiten einen Nähkurs belegt. Ich trennte hier und da eine Naht auf und brachte ein paar Nieten an. Zugegeben, ein modisches Meisterwerk war mir mit diesem Kleid nicht gelungen, davon abgesehen war zartrosa nun wirklich nicht meine Farbe. Ich kam mir vor wie Schweinchen Babe. Egal, ich wollte schließlich nicht King Karl beeindrucken, sondern Leon Wenzel, und dafür wäre es egal, welches Kleid ich bei der Veranstaltung tragen würde, sagte ich mir; da fiel mein Blick auf die Federboa und die goldene Maske, die auf der Couch lagen. Ich legte mir die Federboa um, zog die Maske auf und betrachtete mich im Spiegel.
»Gefallen Ihnen die Sachen?«, ertönte die Stimme von Leon Wenzel, der in diesem Moment mit ins Haar geschobener Sonnenbrille ins Zimmer kam.
Ich rang mir ein Lächeln ab.
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