Sex for One
er
befreit und hatte seine gesellschaftlich konditionierte Fixie-rung überwunden, daß Vögeln der einzig wahre Sex sei.
Offene Gemeinsamkeit war die Basis unserer Intimität.
Wir fühlten uns miteinander wohl, und der Sex machte viel
mehr Spaß. Die Eigenverantwortung für den Orgasmus war
eine Grundvoraussetzung für uns als Individuen und Part-
ner. Wir wurden so zu Menschen, die eine Wahl hatten,
wenn es ums Lieben geht. Wir ließen den romantischen Sex
hinter uns und näherten uns den unendlichen Freuden der
erotischen Liebe.
Die Gesellschaft liefert nur wenige positive Vorbilder für
Geschiedene, Alleinerziehende und Witwer oder auch für
ältere Schwule, die allein leben. Das idealisierte Bild des
jungen romantischen Paares, dessen Liebe auf geheimnis-volle Weise alles überwindet, bringt uns sicher durch un-sere Zwanzigerjahre, doch es ist besser, wenn man wie
Romeo und Julia jung stirbt. Heiraten und immer zusam-menbleiben klappt zwar bei manchen Leuten, doch bei
Millionen anderen nicht. Wenn zwei Menschen nicht mehr
zusammenbleiben wollen, brauchen sie mehr positive Un-terstützung. Man sollte ihnen gratulieren. Eine Scheidung
ist kein Scheitern, und allein bedeutet nicht unbedingt Ein-samkeit. Zwei der glücklichsten Tage meines Lebens waren
der meiner Hochzeit und der meiner Scheidung.
Weder Blake noch ich wollten wieder heiraten oder auch
nur zusammenleben. Wir hatten unsere erste Lebenshälfte
in trauter Zweisamkeit verbracht. Jetzt wollten wir die
Kunst des Alleinlebens praktizieren. Wir wollten herausfin-den, wer wir waren. Das war 1966 ein radikales Konzept,
und unsere Freunde hielten uns für verrückt. Warum woll-ten zwei Menschen, die sich liebten, getrennt leben? Nach
einem Jahr der erotischen Liebe machten wir uns getrennt
auf den Weg, in der Überzeugung, daß sexuelle Liebe nicht
nur auf einen Partner fixiert sein konnte.
Unser Weg zum Alleinleben vollzog sich in mehreren
Stufen. Zunächst trafen wir uns nicht mehr regelmäßig.
Dann verabredeten wir uns mit anderen und tauschten
Informationen über unsere Erfolge und Mißerfolge aus. Wir
entdeckten, wieviel Spaß es macht, erotische Liebe mitein-ander, aber auch mit anderen zu genießen. Wir erwarteten
nicht mehr, daß eine sexuelle Beziehung »ewig« dauerte.
Wir konnten sie einfach genießen, solange sie schön war.
Als ganze Person fühlte ich mich in die liebste Phase
meiner Kindheit zurückversetzt. Das war, kurz bevor alle
feste Freunde hatten. Wir hingen in kleinen Cliquen herum,
und die Welt schien uns zu Füßen zu liegen. Doch das wurde
alles schnell zur Erinnerung, weil plötzlich nur noch Paare
zu sehen waren wie in der Arche Noah.
Nach fünf Jahren hatten Blake und ich den kritischen
Punkt erreicht, den es wohl in jeder Beziehung gibt. Die alte
sexuelle Spannung war verflogen, und wir wollten unsere
vorrangige sexuelle Beziehung mit einem anderen Partner
haben. In einer konventionellen Beziehung hätten wir nun
den Sex der Sicherheit und dem Zusammenbleiben geop-fert. Nach weiteren fünf Jahren hätten wir einander mit
heimlichen Affären betrogen. Doch unsere radikalen Ideen
machten sich bezahlt. Es gab keine Schicksalstragödie und
ich hatte nicht den Wunsch, mich vor Verzweiflung oder
Wut zu zerfleischen. Wir trafen uns sogar zu viert mit
unseren neuen Partnern und blieben weiterhin gute
Freunde.
Alle meine Liebhaber konnten zu guten Freunden wer-den, und alle meine Freunde konnten zu Liebhabern wer-den. Ich experimentierte weiter mit Lebensgefährten, lebte
in Wohngemeinschaften und machte gemeinsam Urlaub
mit meinen erotischen Freunden. Meine Sicherheit für das
Alter hieß, jetzt voll zu leben. Besser als wertvolle Aktien
waren Selbstliebe, gute Gesundheit, kreative Arbeit und
eine große erotische Familie von Freunden.
Blake und ich sind füreinander immer noch sehr wichtig.
Wir interessieren uns beide für Sexualität, und unsere
Freundschaft dauert bis zum heutigen Tag. Das ist eine
andere Art von Liebesgeschichte.
4. Kapitel
Sex als Kunst
Ich hatte eine klassische Kunstausbildung hinter mir und
auch Aktzeichnen studiert. Ich hielt meine Werke für sinn-lich, aber nicht unbedingt für sexuell. Doch im ersten Jahr
nach meiner Scheidung war Sex für mich so wichtig und ich
so ins Leben verliebt, daß es das Natürlichste auf der Welt
schien, zu sagen: »Und jetzt male ich Studien von Men-schen, die die sexuelle Liebe zelebrieren!« Ich begann,
meine
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