Sex ist verboten (German Edition)
traurig zu lächeln. War ihm klar, wie sehr er mich leiden ließ? Ja. Er wusste es. Ganz sicher. Was für ein Verlangen ist es, das mich immer wieder zum Tagebuch dieses Fremden treibt?
Ich schicke mich in meine Strafe,
schreibt er. Schicke mich?
Es gefiel mir, dass Jonathan wusste, dass er mir Leid zufügte. Das ist seltsam, aber wahr. Warum wollte er nicht um mich kämpfen? Warum nicht? Ich war ihm nicht egal.
Ich bin in einem Prozess gefangen.
Das ist Zeug, das der Tagebuchschreiber geschrieben hat. Was für ein Prozess? Ich schreibe jemand anderes Gedanken auf. Aber sie kommen mir vor wie meine eigenen. Gedankensind wie Schalen. Du drehst und wendest hier die Schalen von jemand anderem, Beth. Abfall. Überreste. Du lebst in einer Tonne voller Müll. Deinem eigenen und dem eines anderen. Was spielt das schon für eine Rolle? Meditieren ist das Gleiche wie im Müll wühlen. Alte Gedanken, alte Schalen. Wann werden sie endlich verrotten? Nach sechs Monaten? Nach sechs Jahren? Nach sechs Leben? Einmal hat Jonathan dieses oder jenes getan – ok, aber jetzt schäl es ab. Ein andermal hat Carl gesagt – na schön, schäl es ab, wirf es weg. Mum hat »Ich bring den Scheißkerl um!« geschrien – ab damit in die Tonne. Dad sagt: »Deine Mutter ist unmöglich, Elisabeth.« Saug es weg. Wie wär’s mit Mülltrennung? Den Mist in verschiedene Kisten sortieren? Nicht nötig. Er recycelt sich ganz von alleine. Den Gedanken habe ich bestimmt schon hundert Mal verworfen. Die Schale wächst nach. Wie der Schorf auf einem Kratzer. Dann schäl sie noch mal ab. Schmeiß sie
noch mal
weg. Wären wir uns doch nie begegnet – wirf es den Hunden zum Fraß vor. Hätte ich mich in dieser Nacht bloß nicht betrunken – weg damit, begrab diesen Mist. Wenn wir die französischen Jungs nicht getroffen hätten, wenn wir nicht in den Dünen gezeltet hätten – hör auf, Beth,
hör auf
! Im Januar – weg damit, befrei dich davon! Geboren im Januar, ein Wassermann – befrei dich davon, habe ich gesagt!
Aber das habe ich doch. Ich habe habe habe mich befreit.
Mein Gott.
Schäl, bis nichts mehr übrig ist. Denk so lange darüber nach, bis alles gedacht und verschwunden ist. Aber es
gibt
ja nichts.
Nibbāna
ist das, was nach dem Schälen übrig bleibt, nachdem man erkannt hat, dass es unter all den Gedanken kein Ich gibt. Ist
nibbāna
also
anattā?
Kein Ich. Nur Nichts.
Wo ist das Gemüse, Beth?
Ich habe alles geschält, Ines.
Aber ich kann es nirgends finden, Beth, und ich muss gleich den Eintopf aufsetzen. Ich bin heute Küchenchefin, weißt du? Ich trage die Verantwortung.
Ich fürchte, es ist nichts übrig, Ines. Es war alles nur Schale.
Berge von Schalen, jahrelang klebrige Finger und jetzt dieser Mist, den ich schon die ganze Nacht aufschreibe, dieses ganze schmutzige Papier, das weggeworfen werden muss. Papierschalen. Gekritzel. Wieso klebt es an meinen Fingern fest, wieso geht es nicht ab? Oh, geh doch einfach weg. Verpiss dich!
Welches Verlangen treibt dich immer und immer wieder zum Tagebuch von jemandem,
den du gar nicht kennst,
von einem, der sich selbst hasst, und der seine Frau hasst. Das ist doch nichts Besonderes. Nicht mal seine Freundin scheint er zu lieben. Das Verlangen zu leiden, erneut zu leiden, das Gleiche durch einen anderen Menschen zu erleiden.
I was so alive when I was dying.
Wahnsinn. Und jetzt bin ich tot und wünschte, ich könnte noch einmal sterben. Ich bin tot ich habe mich davon befreit, ich habe mich befreit ich bin tot.
Oh, mach doch weiter, Beth. Immer weiter. Endlose Wiederholungen, damit die Augenblicke vergehen. Als würden sie das nicht sowieso tun. Schreib weiter. Füll die Seiten. Der Stift ist ein Schälmesser, das die Gedanken aus meinem Kopf schält. Wirf die Seiten direkt in die Tonne, recycle das Papier. Warum nicht? Dann schreib es noch mal auf. Und noch mal.
Es wird genau das Gleiche sein.
Was sollte schon anderes herauskommen? Meine Songs waren am Ende auch alle gleich. Sie klangen alle gleich sagten alle das Gleiche bedeuteten alle das Gleiche. Ein Wassermann. Verzeih mir verzeih mir verzeih mir.
Falls ich heute beim Dhamma-Service jemanden verärgert habe, dann bitte ich ihn oder sie um Verzeihung, ich bitte ihnoder sie um Verzeihung. Falls jemand mich heute beim Dhamma-Service verärgert hat, dann verzeihe ich ihm oder ihr von ganzem Herzen, ich verzeihe ihm oder ihr.
Liebende Güte.
Marcia hat während dem Abend-
mettā
der Helfer die ganze Zeit gefurzt. Echt zum
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