Sex ist verboten (German Edition)
auf meine Oberschenkel. Ich schaute mich noch einmal um, bevor ich abtauchte. Ein letzter Blick. Dann merkte ich, dass ich weinte. In meinen Augen standen Tränen. Ich war so glücklich, fühlte mich so dermaßen
bereit.
Endlich. Alle saßen so schön da. Sogar Marcia. Ich dachte an den vierten Abend – war es der vierte gewesen? –, als die weißen und grauen Decken das Meer gewesen waren, die blauen Kissen, die weißen Decken, und jetzt saßen all diese Leute gemeinsam im Meer. Wir saßen in der Brandung. All diese guten Leute waren Felsen in der Brandung, sie trotzten standfest den Fluten. Ich segne sie. Ich segne sie.
Ehe ich die Augen schloss, schaute ich noch eine Weile Mi Nu an. Ich wollte mich von Mi Nu inspirieren lassen. Ich würde die Augen erst wieder aufmachen, wenn ich wie Mi Nu geworden war. Wenn überhaupt je ein Mensch ruhig im Meer sitzen konnte, direkt in der Brandung, dann war das Mi Nu. Sie saß etwas höher als wir auf dem Lehrerpodest. Die Decke, die sie um ihre Schultern gelegt hatte, bildete ein Dreieck, einen Leuchtturm, eine Boje. Sie war ein großer cremefarbener Schal, der um ihre Schultern gelegt war und glatt zu ihren Füßen hinabfiel. Ihr leicht nach unten geneigtes Gesicht leuchtete. Ihr leuchtendes Gesicht weist den Schiffbrüchigen den Weg. Sie beleuchtet den Pfad zwischen den Felsen hindurch. Dann wurde mir zum ersten Mal klar, dass ihre wundervolle, Buddha-gleiche Ruhe von dem Chaos um sie herum abhing. Der Buddha sitzt so still und heiter da, weil die Welt um ihn herum so chaotisch ist. Oder die Welt ist chaotisch, weil er so still sitzt. Der Buddha braucht das Chaos der Welt, und die Welt braucht seine Ruhe. Ungefähr so war es. Der Leuchtturm braucht die stürmische See. Sein Lichtist da, weil die Wellen so dunkel und heftig sind. Mi Nu braucht mich, dachte ich da. Das war ein komischer Gedanke. Um so heiter und rein und still dazusitzen, brauchte Mi Nu Beth Marriot, sie brauchte mein Durcheinander, meinen Schmerz, meinen Dreck.
Wenn wir doch nur Plätze tauschen könnten.
Ich schloss die Augen und spürte sofort, wie Hände nach meinen griffen. Ich hatte damit gerechnet. Es waren weiche Jungenhände, aber sie waren stark. Meine eigenen Hände lagen mit den Handflächen nach oben auf meinen Oberschenkeln, aber gleichzeitig wurden sie in Richtung Meer gezogen, wir rannten über den Strand auf die Brandung zu. Es war bewölkt, aber irgendwo war der Mond, hinter einer Wolke, oder in den Schaumkronen der Brandung gespiegelt. Dann war ich drin. Ihre Hände ließen los, aber ich rannte weiter und tauchte ein. »Halt, Beth. Nicht.« Sie ließen los. Sie sahen, wie hoch die Wellen waren, und blieben stehen. Die rote Fahne war den ganzen Tag oben gewesen. Die Wellen waren riesig.
»Halt, Beth, nicht!«
Ich stürzte mich in die nächste Welle. Sie krachte über mir zusammen wie eine Mauer. Ich wurde auf den Sand geschleudert, hin und her geworfen, ich purzelte, taumelte, überschlug mich und wurde dann plötzlich und gewaltsam hinausgezogen. Stärkere Hände ergriffen mich und zerrten mich hinaus aufs Meer, eine neue Welle brach über mir zusammen, und noch eine und noch eine, und jetzt strampelte ich nicht mehr, quälte mich nicht mehr, kämpfte nicht mehr, sondern wartete. Ich wartete auf die Veränderung. Lass mich anders werden, schrie ich, lass mich anders werden, bitte lass mich anders werden.
REAGIERE NIEMALS
» DER NEUNTE TAG IST UM . Sie haben nur noch einen Tag zum Arbeiten.«
Diese Worte kamen überraschend für mich. Die Leute waren gekommen und gegangen, gegangen und gekommen. Die Lüftung unter dem Dach war ein- und ausgeschaltet worden, um uns frische Luft zu verschaffen. Man spürt ein leises Summen im Bauch, einen ganz leichten Luftzug an den Haarwurzeln. Fünf Minuten, dann hört es wieder auf. Dasgupta sprach über Vervielfältigung. Ich spürte das Flackern des Videobildes. Die Halle war wieder voll. Das
Gesetz
der Vervielfältigung, sagte er. Die Samen des Banyanbaumes sind unendlich viele. Der Baum ist riesengroß, die zahlreichen Samen sind winzig, aber jeder davon enthält einen neuen riesengroßen Banyanbaum, der wiederum unendlich viele Samen enthält, unendlich viele Banyanbäume. So verhält es sich auch mit den
sankharas,
den schmerzlichen geistigen Formationen. Jede unheilsame Handlung trägt den Samen endloser Vervielfältigung in sich, den Samen endlosen geistigen Elends. Das ist ein Naturgesetz. Ein Verrat bringt tausend weitere hervor. Das
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