Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
doch treuherzigen Blick an. Sein wildes Haar ist leider einem schnippelfreudigen Friseur zum Opfer gefallen und legt sich kurz und zahm kringelnd wie eine sorgfältig ondulierte Alte-Damen-Frisur um sein rundes Gesicht. Vielleicht ist er extra meinetwegen zum Haareschneiden gegangen, weil er »anständig« aussehen wollte?
Ich bin nicht völlig immun gegen große Männer, auch wenn zwei meiner wichtigsten Freunde ein paar Zentimeter kleiner als ich waren. Was für mich überhaupt kein Problem war - für sie aber schon.
Vor einem Jahr trat dann ein alter und körperlich recht kurzer Bekannter wieder in mein Leben und fand mich plötzlich sehr attraktiv. Weshalb er mich mehrere Male zu
recht schicken Partys und offiziellen Anlässen einlud. (Er ist ein Star-Anwalt.)
Damit ich auf keine dummen Ideen kam, befahl er mir per Mail zweimal am Tag der jeweiligen Veranstaltung, absolut flache Schuhe anzuziehen. Eigentlich sehr kindisch für einen gleichaltrigen Mann, ich fand es zumindest komisch. Da ich relativ groß bin und gern zügig gehe, besitze ich keine echten High Heels, nur gemäßigte Hacken. Es bestand also keine Gefahr für »Liliputman«.
Für einen Moment kam das Biest in mir hoch und ich dachte: Jetzt leihe ich mir ein paar richtig schöne hohe Plateausohlenschuhe.
Doch meine eigene Bequemlichkeit gewann. Er kriegte seinen Willen und legte immer sehr glücklich seinen Arm - etwas mühsam - um meine Schulter.
Etwas Ernstes oder Aufregendes ist aus diesen flachsohligen Rendezvous trotzdem nie geworden. Warum wollen Frauen größere Männer? Schutzsuche, sagt man, und Aufschauenwollen, also die niedliche anlehnungsbedürftige Frau spielen, die sich in seine Armbeuge schmiegt und das Kinn hochreckt, während sie ihn bewundernd anhimmelt. So wie in dem schönen berühmten Paarfoto von einer besonders mädchenhaften Marilyn Monroe mit ihrem dritten Ehemann, dem baumlangen Arthur Miller.
Warum bin ich nicht zu Hause im Bett geblieben und habe Zeitung gelesen - es ist nämlich Sonntag - und mir einen saugemütlichen Vormittag gemacht?, schießt es mir durch den Kopf. Man weiß nämlich schon nach fünfundzwanzig Sekunden, da gibt es genügend wissenschaftliche Studien, ob die Chemie stimmt.
Es empfiehlt sich sowieso, beim Daten schon vorher Plan A und Plan B zu machen. A für den Fall, dass er ein toller Fang ist. B für den höflich schnellen Abgang bei Schnarchfaktor eins.
»Mmh, guter Tee«, breche ich gewagt das Eis, er hat auch welchen bestellt.
»Meiner auch«, antwortet er, und schon sind wir bei seinem liebsten Thema - dem Tee. Er weiß über die verschiedensten Sorten so gut Bescheid wie ein Teepflücker in Darjeeling und verrät mir, wo man den billigsten First-flush vom Importeur kriegt. Das ist nett und auch hilfreich, denn ich trinke gern Tee, aber mein Fuß fängt an dem übergeschlagenen Bein an zu wippen, ohne dass ich es sofort merke - das alleruntrüglichste Zeichen, dass ich ungeduldig und gelangweilt bin.
Ich will endlich wissen, welchen künstlerischen Beruf denn Jürgen ausübt. Er druckst ein wenig herum, starrt mich an und sagt: »Na ja.«
»Na, irgendeinen Beruf hast du doch sicherlich?«, insistierte ich.
»Eigentlich bin ich Elektriker, aber dann habe ich viel mit Kabeln zu tun gehabt und war öfter beim Fernsehen beschäftigt. Mit der Beleuchtung!«
Jetzt ist es heraus. Also Beleuchter. Dessen muss man sich doch nicht schämen! Im Gegenteil.
Die Unterhaltung plätschert quälend dahin, doch dann kommt er mit der besten Geschichte aus der Datingszene, die ich je gehört habe. Ich hatte ihn gefragt, was er denn bisher so für Frauen getroffen habe.
Da war vor zwei Jahren, als er anfing, eine Ukrainerin. Sie war hübsch, man kommunizierte gebrochen, und nach zwei Mails rückte sie mit der Wahrheit über ihr wirkliches
Begehren heraus. Vielleicht war sie auch eine Stand-up-Komödiantin, die Spaß hatte, ausländische Männer an der Nase herumzuführen. Denn es waren keine sahnigen Trüffel oder ein Paar sündige Sandalen in Gold von Manolo Blahnik, sondern eine Ladung Brennholz, die sie geschickt haben wollte, das sei sehr knapp dort im russischen Winter.
Jürgens große Kinderaugen sind ohne schalkhaftes Blinzeln, also stimmte es.
»Nein, das kann nicht sein«, rufe ich aus.
»Doch, wirklich«, beteuert er ernst.
Das ist das Highlight mit Jürgen und ein wirklich komisches, und das bleibt es auch in den verbleibenden dreizehn Minuten unseres dynamischen
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