Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
Frauen es beim Flirten und Küssen belassen würden, in sich ein vollkommener Spaß, gäbe es weniger Frust und weniger erregte Anrufe bei der Freundin mit der Frage: »Warum ruft er nicht an?«
Er wollte mich unbedingt am nächsten Tag zum Frühstück treffen. Wir verabredeten uns. Arglos wie ein tapsiger Jungbär ging ich in die Falle, die da heißt Tageslicht!
Wir saßen um elf Uhr bei Rührei und Latte macchiato auf der Terrasse eines Cafés. Ich fand, dass er mich immer wieder verstohlen musterte, und sein Blick nahm einen überraschten und distanzierten Ausdruck an. Nichts war mehr da vom flirtigen, sexy Geplänkel der vergangenen Nacht.
Wir waren beide nicht etwa betrunken gewesen, also konnte die Realität sicherlich nicht gleich Melanie Mumie, die Frau mit den Falten, aus mir machen. Aber ein wehes kleines Gefühl bemächtigte sich meiner, so etwas wie ein Abschied. Viel wurde in der Literatur von dem für reife Frauenhaut wenig vergebenden Tageslicht geschrieben, und nun saß ich mittendrin und mir gegenüber ein junger Mann, der abgekühlt war wie ein Nordseeschwimmer im März.
Für einige Sekunden verstand ich Dracula und sein vernünftiges Begehren, beim ersten Sonnenstrahl Reißaus in den dunklen Sarg zu nehmen, beschützt vor Entblößung und Verfall.
Ich weiß nicht wirklich, ob ich mir das alles nur einbildete, oder der Mann lediglich eine andere Laune hatte und ich zu überempfindlich, unsicher und eitel war. Egal. Für mich war diese Episode der erste wichtige Schritt zur Akzeptanz, dass es Grenzen gibt, die mit der Zeit immer schwieriger zu überwinden sein würden. Schlau wäre, sie nicht überwinden zu wollen …
So wie Kristin, eine Freundin von Sarah: »Das ist gemein und verletzend«, jammert Kristin, die sich seit einem halben Jahr in offizielle Veranstaltungen wie flotte Single-Partys und Speed-Dating einfädeln will.
Nur klappt das nicht, denn keiner will Kristin. Sie ist liebenswert, interessant, hat keinen Buckel und hinkt nicht, sie ist sogar recht hübsch. Aber Kristin ist zweiundfünfzig, und ein Dating-Service will eigentlich nur Frauen bis Anfang
vierzig. Gibt’s davon mehr, sind sie schöner, haben sie mehr Geld und müssen sie deshalb umworben werden?
Die arme Kristin ist ein Seelchen und fühlt sich wie eine Leprakranke. Ich finde, es ist keinesfalls »verletzend«, es ist eine dreiste Unverschämtheit mit einem offiziellen Namen: Altersdiskriminierung.
Auch mich lässt man nicht zur Rock-’n’-Flirt-Party . Nur bis neunundvierzig, heißt es dort. Dabei kann ich beides, flirten und rocken, und zwar so gut, dass sich manches junge Huhn einige Inspirationen von mir holen könnte.
»Weißt du was?«, sage ich zu Kristin. »Fuck them! Die können uns mal!«
Forever Young oder Falten sind eine Frechheit
»What a drag it is getting old« , sangen die Stones schon 1964, ganze vierundzwanzig Jahre alt, und man wundert sich schon manchmal über die Reife, die gerade die Rockbands der Sechzigerjahre demonstrierten.
Ob es wirklich stimmt, dass Altwerden schrecklich oder eine wundervolle bereichernde und vor allem natürliche Transformation ist, werden wir und besonders die Jüngeren wohl nie so ganz unbekümmert herausfinden können. Spaß, Glück und Zufriedenheit, vom Stolz ganz zu schweigen, die ja durchaus entstehen könnten, wenn man seine persönlichen Lehr- und Meisterjahre betrachtet und sich beglückt wundert, dass man einigermaßen in einem Stück alles überlebt hat, sind kaum mehr erlaubt. Die verdiente Ruhe, wie es so schön einmal hieß, hat sich in unverhältnismäßige Hektik verwandelt. Und in Sorge. Dass man nicht mehr mithalten kann, weil das eine Attribut fehlt, dem neuerdings mehr Macht zugestanden wird als Intelligenz, Reife und Erfahrung: Hotness. Es ist ein hinterhältiges, oberflächlich glitzerndes, völlig verwirrendes Wort, das in niemandes Leben etwas zu suchen haben sollte - außer dem von Meteorologen oder MTV-Ansagern vielleicht.
Doch alles muss heute hot sein. Dein Aussehen, dein Toaster, dein Auto, dein Salat, deine Schuhe, deine Espressomaschine, deine Attitüde, dein Klopapier. Hot hot hot, alles
andere ist out und lahm. Und unsexy , und das ist schlimmer als nicht hot , das ist ein Todesurteil. Weil du unsichtbar bist. Du spielst nicht mehr das Spiel, bist nicht mehr Beute, die große Verlockung mit den Bambiaugen, den schmalen zarten Gelenken und der seidigen, straffen Haut.
Aber ich will nicht mehr hot sein! Ich will meine Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher