Sexy, süß und namenlos
Stripperin? Woher kam sie? Doch es hatte keinen Sinn, sich das Hirn zu zermartern. Wenn sie sich entspannte, würde die Erinnerung ganz von selbst zurückkommen, vielleicht schon morgen, wie Gus es prophezeit hatte.
Grant deutete auf die Treppe und ließ sie vorangehen. Harley hielt sich am Geländer fest und machte vorsichtige Schritte. Auf halber Höhe merkte sie, dass Grant ein paar Stufen hinter ihr geblieben war und ganz offensichtlich auf ihren Po schaute. Sie errötete. Du bist mir vielleicht eine Stripperin, dachte sie. Solche Hemmungen sind bei dem Job nur hinderlich.
„Was ist mit Ihrem Bruder?“, plapperte sie nervös drauflos, um das Schweigen zu überbrücken. „Ich kann mich an keinen berühmten General aus dem Bürgerkrieg mit Namen Gus erinnern.“
„Mein Vater wählte meinen Namen, da ich der Erstgeborene war. Mein Bruder hingegen hat seinen Namen einem Spleen meiner Mutter zu verdanken. Sein richtiger Name lautet Gustave. Meine Mutter ist Professorin für europäische Literatur.“
Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Sie meinen, er wurde nach Gustave Flaubert benannt? Dem Autor von ‚Madame Bovary‘, der Geschichte einer unverstandenen Frau und ihrer verbotenen außerehelichen Affären?“
Grant nickte, ebenso erstaunt über ihr Wissen wie sie selbst.
„He, anscheinend bin ich eine gebildete Stripperin“, meinte sie stolz und drehte sich wieder um, um die letzten Stufen nach oben zu nehmen. Kaum hatte sie die Drehung vollführt, erkannte sie, dass es zu schnell gewesen war. Prompt wurde ihr schwarz vor Augen, und sie verfehlte die nächste Stufe.
Grant packte sie an den Ellbogen, und seine starken Hände hielten sie fest. „Langsam. Eine Verletzung pro Abend ist genug, finden Sie nicht?“
„Tut mir leid. Anscheinend bin ich doch noch etwas benommen.“
„Das ist verständlich.“ Er führte sie oben zur zweiten Tür von der Treppe aus und ließ sie erst los, als sie auf seine Hand schaute, die noch immer ihren Ellbogen umfasst hielt. Verlegen räusperte er sich, öffnete die Tür und trat zurück, um Harley vorbeizulassen.
Das Zimmer war geschmackvoll, wenn auch karg eingerichtet und in hellen Tönen gehalten. Das Bett, die Kommode, der Nachttisch, der Kleiderschrank und die Chaiselongue waren aus weiß gebeiztem Ahorn. Die Einrichtung war praktisch, aber einfallslos.
Harley suchte nach der passendsten Umschreibung, die ihr einfiel. „Es ist … nett.“
Grant schaute sich um, und sein Interesse verriet, dass er das Zimmer noch nie betreten hatte. „Dieses Zimmer ist seit meinem Einzug nicht mehr benutzt worden. Aber meine Haushälterin wechselt regelmäßig die Bettwäsche.“ Er deutete auf eine Tür. „Das Bad befindet sich dort, der begehbare Kleiderschrank hier.“
Sie hielt ihre Jacke und ihr Mieder hoch. „Dafür brauche ich nicht allzu viel Platz.“
„Ich werde Ihnen etwas für die Nacht suchen. Morgen sorge ich dafür, dass Sie etwas … Bequemeres zum Anziehen bekommen.“ Er verschwand und kam nach einer Weile mit einem T-Shirt, einer neuen Zahnbürste und der Warnung zurück, auf jeden Fall im Zimmer zu bleiben, solange sein Chef da war.
„Grant, warten Sie“, sagte Harley, als er sich zum Gehen wandte. „Ich möchte Ihnen danken. Sie hätten mich schließlich nicht aufnehmen müssen.“
Er runzelte skeptisch die Stirn. „Ach nein? Was hätten Sie denn gemacht, wenn ich versucht hätte, Sie hinauszuwerfen?“
„Ich hätte wohl an Ihre Ritterlichkeit appellieren müssen“, antwortete sie.
„Und wenn ich nun gar keine ritterliche Seite habe?“
Harley wollte die Jacke auf das Bett werfen. Doch dann fiel ihr die Szene mit dem Geschirrhandtuch ein, und sie nahm einen Bügel aus dem Schrank und hängte die Jacke auf. „Sie haben eine, und dafür bin ich dankbar.“
Nachdem Grant gegangen war, duschte sie rasch und ging ins Bett. Obwohl sie die Kissen zurechtklopfte und mehrmals gähnte, fand sie keinen Schlaf. Das Zimmer war zu groß und zu still, das Bett zu kalt und leer.
Sie versuchte sich an irgendeinen Anhaltspunkt zu erinnern, wer sie war. Nach dem kurzen Wortwechsel auf der Treppe wusste sie, dass sie vermutlich aufs College gegangen war. Aber sie besaß keinerlei Erinnerung an die Schule oder das Studium. Auch was ihren Beruf betraf, fiel ihr nichts ein. Grant und Gus hatten ihr gesagt, sie sei Stripperin, und sie war tatsächlich wie eine angezogen gewesen. Dennoch fand sie die Vorstellung lächerlich.
Sie kuschelte sich
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