Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Himmler im Radio von den »todesmutigen Freiwilligen« und behauptete, die »Werwolf«-Guerilla werde dem Feind flächendeckend »die Lebensfäden abschneiden«. Also waren die Alliierten vorsichtig.
Als am 25. März 1945 der von den Befreiern gerade erst ins Amt gesetzte Aachener Oberbürgermeister Franz Oppenhoff (1902–1945) getötet wurde, vermutete man dahinter eine »Werwolf«-Aktion. Das stimmte allerdings nicht. Oppenhoff war von einer tief in den Westen eingeflogenen Sondereinheit von SS und Luftwaffe ermordet worden – also den üblichen Verdächtigen. Aber damals wusste niemand, ob dies nicht doch eine Aktion des »Werwolf«-Phantoms war. Man blieb umso mehr auf der Hut: Aachen war nicht weit weg von den Rheinlagern. Wenn es die »Werwölfe« schafften, in Aachen den Bürgermeister zu ermorden, wer konnte dann sagen, was sie sonst noch anrichten würden?
Enttäuschung macht sich breit
Die Lebensbedingungen im Lager waren traumatisch, weil es wenig Nahrung und keinen Sichtschutz gab. Anders als zuvor in der deutschen Armee machten zudem Krankheiten die Runde. Hierdurch kam es zu Todesfällen, jedoch weit weniger als in anderen Kriegsgefangenenlagern oder als in deutschen und russischen Arbeitslagern. Mehrere Quellen, darunter auch Professor Uhlenbruck , berichteten, dass die in den Rheinwiesenlagern Gefangenen von der Bevölkerung mit Brot, gekochten Kartoffeln, Salz und so weiter versorgt wurden.
Die Rheinwiesenlager bei Remagen. Typisch für das Lager: Viele Gefangene versuchten, sich Erdlöcher und kleine Stollen zu graben. Diese stürzten aber öfters ein; hin und wieder kam es so zu Todesfällen durch Verschütten. Links in kurzer Hose ist Otto Prokop zu sehen.
Die nachhaltige Verwirrung und Verbitterung über das Erlebte zog sich durch eine ganze Generation von Deutschen. Beispielhaft ist das Buch »Der geplante Tod« von James Bacque (geb. 1929), der nachzuweisen versuchte, dass vor allem die Amerikaner knapp eine Million – nach seinen späteren Angaben sogar vier bis sechs Millionen – deutsche Soldaten in Lagern unter unmenschlichen Umständen gefangen gehalten und dem Tod preisgegeben hätten. Tatsächlich herrschte insbesondere in den Lagern auf den Rheinwiesen bei Remagen die berechtigte Angst, dass die ungeschützten Gefangenen den Winter 1945 nicht überleben würden. Die als Übergangslager gedachten Flächen wurden aber schon vor Einbruch des Winters im Herbst 1945 geräumt und aufgelöst. Obwohl Forscher mittlerweile Bacques Zahlen und die Unterstellung, die Amerikaner hätten die Lagerinsassen aus Rache absichtsvoll sterben lassen, widerlegt haben, hat sich die falsche Ansicht vielfach festgesetzt.
Literaturnobelpreisträger Günter Grass (geb. 1927) beschrieb das so: »Der Wahnsinn und die Verbrechen fanden nicht nur ihren Ausdruck im Holocaust und hörten nicht mit dem Kriegsende auf. Von acht Millionen deutschen Soldaten, die von den Russen gefangen genommen wurden, haben vielleicht zwei Millionen überlebt, und der ganze Rest wurde liquidiert. Es gab vierzehn Millionen Flüchtlinge in Deutschland, das halbe Land ging direkt von der Nazityrannei in die kommunistische Tyrannei. Ich sage das nicht, um das Gewicht der Verbrechen gegen die Juden zu vermindern, aber der Holocaust war nicht das einzige Verbrechen. Wir tragen die Verantwortung für die Verbrechen der Nazis, aber ihre Verbrechen fügten auch den Deutschen schlimme Katastrophen zu, und so wurden sie zu Opfern.«
Dieses Zitat löste einen weltweiten Shitstorm aus, da das »Gleichsetzen, Aufrechnen und Relativieren« als Opas liebste Stammtischbeschäftigung galt. »Dass etwa die neunhundert Tage dauernde Blockade von Leningrad durch die deutsche Wehrmacht zwischen 1941 und 1944 zu den großen Barbareien des Zweiten Weltkriegs gehört, hat sich in unseren Breiten noch nicht herumgesprochen«, schreibt dazu der Journalist Erich Klein. »Ungefähr eine Million Menschen kam dabei ums Leben.« Sein Kollege Peter Jahn ergänzt: »Umstandslos den Mord an sechs Millionen Juden mit einem Fantasiebild von sechs Millionen liquidierten deutschen Kriegsgefangenen zu relativieren, ist – vor aller moralischen Bewertung – erklärungsbedürftig.«
Obwohl es also sinnlos ist, Tat gegen Tat aufzurechnen, empfanden die gefangenen Deutschen sich als Opfer, und viele tun es bis heute. Unabhängig davon, ob man dieser Bewertung zustimmen möchte oder nicht – es prägte die Betroffenen, und diese Prägung blieb
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