Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Ärzte die Drüse aufschnitten, war darin ein »etwa pflaumengroßer, auf der Schnittfläche graufleckig verfärbter Bezirk« zu sehen: Die Bauchspeicheldrüse war massiv entzündet.
Schlussfolgerung: Die Frau hatte wegen ihrer Bauchspeicheldrüse einen Schmerzanfall gehabt. Zum Erbrechen beugte sie sich über die Grube, verlor das Gleichgewicht oder das Bewusstsein und ertrank dann in der Grube. Dass die Frau einen Suizid begangen hatte, glaubten Prokop und Schleyer nicht. »Es war gänzlich unwahrscheinlich«, so die beiden, »dass die schwere Veränderung der Bauchspeicheldrüse nur einen Zufallsbefund dargestellt haben sollte. Die Annahme eines Sichertränkens in der eigenen Jauchegrube, um dem akuten Schmerz zu entgehen, erschien allzu gesucht.«
Es wird blutig
Kurz darauf wendete sich Prokop den Blutbestandteilen zu, mit denen er sich auch in den folgenden Jahrzehnten beschäftigte. Zunächst mit seinem Lehrer Elbel, dann vor allem mit Franz Schleyer und wechselnden anderen Kollegen ging er beispielsweise der Frage nach, ob es einen Zusammenhang zwischen messbaren Eigenschaften des Blutes und Fehlgeburten, besonders auch Reihenfehlgeburten, gibt. Das war eine sinnvolle Fortsetzung der schon lange vor dem Krieg gestellten Frage, welche erblichen Unterschiede es zwischen Menschen gibt und ob und wie sie sich auswirken.
Anders als Forscher, die sich vor und während des Dritten Reiches von ihren eigenen Grundannahmen blenden und zur Fehldeutung ihrer Daten verleiten ließen, blieb Prokop dabei von Anfang an hart an den Tatsachen. Als er beispielsweise mit zwei Kollegen untersuchte, wie sich die auch heute noch bekannten und verwendeten Rhesus-Blutgruppen bei »Anstaltsinsassen« – hier: geistig und körperlich Kranken und wie Epileptikern, Schizophrenen, an Demenz Erkrankten und »Psychopathen« – aus Bonn und Düren verteilten, stellten die Forscher fest, dass es »keine Zusammenhänge zwischen Art der Erkrankung und Blutgruppenzugehörigkeit beziehungsweise Rhesus-Untertypen« gab.
Dasselbe Ergebnis hatte sich zuvor auch schon für die bekannteren Blutgruppen aus dem » AB 0 -System« ergeben. Damit war widerlegt, dass es körperlich messbare, weit verbreitete Merkmale im Blut gibt, die vorhersagbare geistige Eigenschaften bedingen.
Kennt jeder: die Rhesus-Blutgruppen. Man beachte auch die Untergruppen und weitere Blutgruppen wie hier auf dem Blutspendeausweis des Autors, hier angegeben C, D und K. Prokop untersuchte noch zahlreiche weitere Blutgruppen, da sie erstens erblich sind und sowohl kriminalistisch (Blut- und Spermaspuren) als auch zur Vaterschaftsbestimmung einsetzbar sind. Diese Felder sind bis heute in der Rechtsmedizin von Bedeutung, wenngleich mithilfe genetischer Fingerabdrücke.
Prokop brach durch Experimente mit der Vorstellung, dass es einen Zusammenhang zwischen Blutbestandteilen und menschlichen Eigenschaften gebe.
Diese Untersuchung Prokops wurde 1953 veröffentlicht. Ich halte sie für sehr fortschrittlich. Zur damaligen Zeit geisterten nämlich noch die Überreste der Rassen-Lehre herum, die jahrzehntelang fehlgeleitete Forschung bewirkt und im Dritten Reich Millionen Menschen das Leben gekostet hatte.
Noch 1949 erschien beispielsweise beim wissenschaftlichen Springer-Verlag die dritte Auflage des Buches »Kriminologie«. Das Buch hieß in den ersten beiden Auflagen »Kriminalbiologie«, was die Richtung vorgab: Die Biologie bestimmt den Charakter.
Dass der Mensch auch genetisch gesteuert ist, stimmt zwar auch nach heutigen Kenntnissen. Allerdings verstehen wir erst jetzt die umfangreichen Einflüsse der Umwelt auf die Ausformung dieser teils vorgegebenen Charakteranlagen. Noch in der dritten Auflage der »Kriminalbiologie« von 1949 tat sich der – zwei Jahre vor Drucklegung verstorbene – Autor Professor Franz Exner unglaublich schwer damit, beispielsweise Hausfriedensbrüche auf die Lebensumstände und Gewohnheiten der Täter zurückzuführen.
Er meinte stattdessen, dass es in unterschiedlichen Regionen Deutschlands verschieden häufig zu »Verbrechen überhaupt«, Diebstahl, Betrug, Körperverletzungen und dergleichen kam, und folgerte, dass es sich um einen regionalen »Volkscharakter« handeln müsse, der ergo nicht vorwiegend umweltbedingt ist. Mit anderen Worten: Der Charakter ist erblich, wenig beeinflussbar und in manchen Regionen beziehungsweise bei manchen »Rassen« verbrecherisch.
Exner zitierte dabei sogar das genetische Werk, das auch Hitler im Gefängnis
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