Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Ponsold solche Ansichten und seine Verstrickungen mit den Nazis. Er behauptete sogar, nie in der nationalsozialistischen Partei gewesen zu sein. Tatsächlich sind Dokumente erhalten, die beweisen, dass er 1933 in die SA eintrat, ab 1937 in der NSDAP und auch als Arzt im Amt für Volksgesundheit von den Nazis zugelassen war. Ponsold ließ seine politische Einstellung anders als Prokop also in die Bewertung der Datenlage einfließen.
Albert Ponsold (1900–1983)
Ponsold wuchs in Lettland auf und machte sein Abitur in St. Petersburg (damals Petrograd). Zunächst studierte er in Estland (in der Stadt Dorpat), ab 1919 dann in Berlin Medizin. Sein Studium schloss er 1924 ab, 1926 promovierte er und erhielt die ärztliche Zulassung. Nach einer Zwischenstation am Anatomischen Institut der Universität Marburg ging er als Pathologe zurück nach Berlin.
1934 wurde er Assistent am Institut für Rechtsmedizin der Universität Halle, wo er 1935 mit einer experimentellen Arbeit über die Verpflanzung von Kaninchenföten habilitierte (»Intraabdominale Skelettierung und Mumifizierung von Föten bei experimentellem extrauterinen Abort«). 1937 trat er der NSDAP bei.
Ab 1939 war er bei der Luftwaffe als Pathologe tätig, konnte ab 1941 aber dem Ruf der Universität Posen als Professor für »Gerichtliche Medizin und Kriminalistik« folgen und dort arbeiten. Gegen Ende des Krieges wurde Ponsold erneut eingezogen.
Von 1948 bis 1968 war Ponsold Leiter des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Münster, das er bis 1979 in Vertretung weiter leitete.
Vaterschaften
Es ist erfrischend und angenehm zu sehen, dass Otto Prokop die in den 50er Jahren schon weit fortgeschrittenen Labortechniken zur Blutgruppenbestimmung lieber für die Bewertung interessanter Fälle anstatt zur Untermauerung ideologischer Annahmen verwendete. So erkannte er beispielsweise in einem Fall, der weder kriminalistisch interessant war (kein Verbrechen) noch Geld brachte (keiner der Beteiligten hatte Geld), dass ein vermuteter Vater nicht der genetische Erzeuger des Nachwuchses war.
»Eine Dreißigjährige«, so berichtete Prokop dazu, »gebar ein sechs Pfund schweres, männliches Kind, das vom zweiten Lebenstag an einen schweren Ikterus [Leberstörung] aufwies. Noch bevor eine Überführung vom ländlichen Wohnort zur Stadt zwecks einer Austauschtransfusion durchgeführt werden konnte, starb das Kind am fünften Tag.«
Aus Neugier – man wollte eigentlich nur wissen, ob bestimmte Blutgruppen mit Fehlgeburten und frühen Erkrankungen von Babys in Verbindung stehen – untersuchte Prokop nun das Blut der Eltern. Es zeigte sich, dass beide Eltern die Blutgruppe 0 MN rr P + aufwiesen, das Blut der Frau aber auch ein »kräftiges Anti-D« enthielt. Das konnte sich Prokop nicht erklären, weil das Merkmal »D« von keinem der Eltern stammen konnte, im Kind aber vorgelegen hatte. Da es im Kind vorkam, hatte die Frau Antikörper gegen D entwickelt. Weil die Mutter den Antikörper auch nicht durch eine frühere Fehlgeburt oder durch eine Transfusion entwickelt hatte, ist dieser Vaterschaftausschluss Prokops auch aus heutiger Sicht korrekt.
Zusammen mit seinem Chef Elbel hatte Prokop schon 1951 einen ähnlichen Fall bearbeitet. Dabei stellte sich nach »vorsichtiger Exploration« – das heißt höflichem, ruhigem Nachbohren – heraus, dass der »Schwängerer ein naher Verwandter war« und nicht der angebliche Vater. Auch diese Frau hatte Antikörper gegen Blutbestandteile des echten Vaters entwickelt, die im gemeinsamen, aber unehelichen Kind im Mutterleib vorkamen. Prokop stellte daher die »offenbare Unmöglichkeit der Vaterschaft« des amtlichen Vaters fest.
Prokop forschte, was für einen Gerichtsmediziner unüblich war, tief in seiner Materie, etwa in der Blutgruppenkunde. Sein Wissen wandte er sofort an – hier im Jahr 1953 zur Feststellung von Vaterschafts-Ausschlüssen.
Vaterschaftsfeststellungen waren damals noch sehr schwierig und wurden aus Mangel an besseren Verfahren oft mit Körpervermessungen bei Kind und Vater durchgeführt, beispielsweise durch Ohren-, Nasen- und Augenvergleiche.
Wegen der bekannten Ungenauigkeiten dieser Knochen-Vergleichungs-Methode bestand vor Gericht die alte römische Regel pater semper incertus est (»wer der Vater ist, ist immer ungewiss«). Diese Regel wurde nach Jahrtausenden der Ungewissheit über die Vaterschaft erst Ende der 80er Jahre durchbrochen, als Alec Jeffreys (geb. 1950) die genetischen
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