Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
als Vorlage für die »rassehygienischen« Vorschläge verwendete, die er in seinem Buch »Mein Kampf« entwickelte: den »Baur-Fischer-Lenz«. Das war ein zweibändiges, in vielen Teilen gutes, wissenschaftliches Genetik-Lehrbuch. Leider driftete der »Baur-Fischer-Lenz« aber gemäß dem Zeitgeist teils in Richtung Rasse, Blut und Gene ab.
Exner glaubte beispielsweise, »dass innerhalb Hollands das Gebiet von Friesland bis Nordholland eine verhältnismäßig geringe Kriminalität, besonders bezüglich Gewaltverbrechen, aufweist«. Er führte das aber nicht auf gute Lebensumstände zurück, sondern meinte, dass die Beobachtung »auch von holländischen Kriminologen auf die dort überwiegende nordische Rasse zurückgeführt wird. Der Gedanke an einen Zusammenhang zwischen nordischer Rasse und geringer Straffälligkeit ist schon anderwärts angesprochen worden (Baur-Fischer-Lenz). Er wird noch durch genauere Untersuchungen zu überprüfen sein.«
Es gehörten für Prokop also durchaus Mut und Scharfsinn dazu, mit objektiven Versuchsserien – wie eben der von Blutgruppenuntersuchungen in der Psychiatrie – sachlich zu prüfen, ob und was Menschen körperlich so unterscheiden könnte, dass es sich im Verhalten widerspiegelte. Wie gesagt: Es fand sich nichts.
Zwar gibt es in Familien gehäuft bestimmte körperliche oder seelische Erkrankungen, aber erstens brechen sie nicht zwingend aus und zweitens prägen sie nie als »Volkscharakter« eine Region.
Die räumliche Verteilung von »Genhäufigkeiten« (Blutgruppenmerkmalen) in deutschsprachigen Gebieten (1929). Erkennbar ist, dass bestimmte genetische Merkmale umso häufiger vorkommen, je näher beieinander die betreffenden Menschen wohnen. Deutlich wird, dass man auch ganz ohne angebliche »Rassenunterschiede« objektiv darstellen kann, dass es erbliche Unterschiede zwischen Menschen gibt, diese aber nichts mit Charaktereigenschaften von »Völkern« zu tun haben.
Die Idee, in den Blutgruppen nach Gemeinsamkeiten zu suchen, war nicht abwegig. Dass Prokop und seine Kollegen jedoch den Schluss zogen, dass sie nicht vorhanden sind, ist verdienstvoll. Sie hätten ebenso wie Kriminalbiologe Exner einfach behaupten können, dass man halt weitersuchen und dann schon einen Zusammenhang zwischen Blut und Charakter finden würde.
Die Untersuchung von Blutgruppen war zum Beginn von Prokops akademischer Arbeit und noch lange danach ein aktuelles Thema. Der österreichische, jüdische Forscher Karl Landsteiner hatte 1901 die bekannten Blutgruppen A, B, und 0 (damals als »C« bezeichnet) entdeckt. Dafür erhielt er 1930 den Nobelpreis. 1907 konnte die erste erfolgreiche Bluttransfusion durchgeführt werden, nachdem Landsteiner erkannt hatte, dass bestimmte Blut-Arten miteinander verklumpen und andere nicht. 1940 entdeckte er weitere bis heute wichtige Blut-Bestandteile, die Rhesusfaktoren. Hier eine Abbildung zu den »theoretischen Grundlagen der Blutgruppenbestimmung durch Isohämagglutination« aus einem auch ausdrücklich an Rechtsmediziner gerichteten Buch des ebenfalls jüdischen Arztes Fritz Schiff, der wegen der Nazis in die USA emigrieren musste.
Dennoch überlebte der Glaube an erbliche Volkscharaktere, wenngleich oft in abgeschwächter Form. So erfuhr das Buch des Professors für Psychiatrie Ernst Kretschmar »Körperbau und Charakter« zwischen 1931 und 1955 22 Auflagen.
Prokops Arbeiten waren auch deshalb fortschrittlich, weil die Rechtsmedizin als sehr konservatives und durch die Nazis beeinflusstes Fach nicht der erste Ort war, an dem man aufklärerische Studien vermutet hätte. Prokop stand stattdessen in der Tradition großer Ärzte und Blutkundler wie Karl Landsteiner (1868–1943) und Fritz Schiff (1889–1940 ) . Beide erfassten sachlich und ideologiefrei die Unterschiede und Gleichheiten zwischen Menschen anhand von Merkmalen im Blut.
Auch Prokops späterer Widersacher im Fall Hetzel , der Rechtsmediziner Albert Ponsold, hatte in diesem Feld schon 1933 einen – allerdings nur labortechnischen – Beitrag veröffentlicht. Ponsold wollte den Verklumpungstest von nicht miteinander verträglichem Blut in Kapillaren durchführen. Das sollte die Arbeit vereinfachen, wenn beispielsweise nur sehr wenig Blut zur Untersuchung vorhanden war.
Ponsold leitete anders als Prokop aus seinen Blutuntersuchungen ab, dass es »niedere Rassen« gebe, die eine besonders starke »Anfälligkeit« für die Ausübung von Verbrechen hätten. In seiner Autobiografie leugnete
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