Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
also tief in Prokops Lebenserinnerungen.
Diesen verdeckten Einfluss hatte Prokop mit seinen feinen Antennen aber sofort gespürt und deshalb die »doktrinären« Einflüsse und »die vielen Änderungswünsche« erwähnt. Er teilte dem Verlag auf diese Weise mit, dass er wusste, was von ihm verlangt wurde, und dass er nicht mitspielen würde.
»Die Ausführungen des Professors zur Führung seines Institutes«, so hieß es bei der Besprechung in der Partei-Zentrale, »ruft bei den Genossen das gleiche Unbehagen hervor wie bei uns, und die Darstellung des Atomschlages sollte gestrichen werden. Es sollte auch versucht werden, die Zitierung der Westquellen zu reduzieren.« Man hoffte, dass ein »politisch wirksames Buch erreicht werden könne. Das wäre sehr zu begrüßen und könnte große Wirkung haben.«
Doch Prokop ließ sich nicht einspannen. Weder wollte er, wie vom MfS gefordert, behaupten, dass nur die Menschen im Westen paranormalen Vorstellungen anhingen, noch wollte er den christlichen Religionen zugestehen, dass sie Sterbenden Trost spenden könnten. Sie böten im Gegenteil, wie die Parawissenschaften, »ebenfalls nur Steine statt Brot«.
Selbst seine NS -Vergangenheit wollte Prokop in der Biografie nicht aussparen. Das hatte zuvor beispielsweise der Chirurg Ferdinand Sauerbruch in seiner Biografie »Das war mein Leben« aus dem Jahr 1951 gemacht.
Gerade Charité-Professoren wie Sauerbruch, die ihre Erfahrungen im Dritten Reich verschwiegen, verachtete Prokop, wie er mir – vor seinem eingeschalteten Radio flüsternd – berichtete. In dieser Sache, dem Krieg, der ihn tief verändert hatte, war Prokop nicht zu verbiegen. Doch das war noch lange nicht alles, was aus Prokop beim Zank um seine Biografie hervorbrach.
»Der Autor«, so schreibt Prokop über sich in der dritten Person, »der sich in der Welt umgesehen hat, kann den Standpunkt nicht billigen, dass überall im Hintergrund bei westlichen Forschern die militärischen Ziele oder Konzerne stehen. Zumindest in der Medizin ist das nicht so, und es ist unbestritten, dass wir hinter einigen mit unseren Beiträgen nachhinken.
Da der Autor die höchsten Staatspreise besitzt und nie zweideutig in Erscheinung getreten ist – im Gegenteil –, soll man ihm nicht überall Bekenntnisse abverlangen, die ein ödes Klischeebuch zur Folge haben, über das die sachkundigen Leser nach Jahren erkennen, wie es gefällig zurechtgebogen wurde, um dem Jahr 1982 zu entsprechen.
Doch nach 1982 kommen 1983/84/85/86, die auch ihr Kolorit haben, und nach der Vergangenheit des Autors glaubt man eine überschießende Versatilität [Wandelbarkeit, hier bezogen auf die gewünschten Anpassungen] nicht. Meines Erachtens genügt es, wenn man zu einem Staat steht und naturwissenschaftlicher Materialist ist und das nicht verleugnet.«
Wohlgemerkt: Prokop feuerte hier Jahre, bevor irgendjemand ahnen konnte, dass es den Sozialismus zum Ende des Jahrzehnts dahinraffen würde, gegen »Wünsche und Hinweise« der oberen politischen Etage.
Eine Grußkarte Prokops, auf der er sich als der zeigt, der er am liebsten war – ein wissenschaftlicher Lehrer.
Obwohl Prokop Rückendeckung von Teilen des MfS, beim Forschungsrat der DDR , dem Generalarzt der Armee und vielen anderen hatte: Derart harsche Worte leistete er sich, weil er sie aus tiefstem Herzen so meinte und das ständige Nehmen des Staates ohne ihm genügende Gegenleistung satt hatte. Prokop trug die Naturwissenschaften nicht vor sich her, um sich mit dem System zu arrangieren, sondern er glaubte, sie als wertgeschätzten Teil im System verankern zu können. Ihm wurde von Tag zu Tag bewusster, dass dies misslang.
Doch nicht nur, dass Prokops objektive Befunde hinter einer politisch überfärbten Interpretation zurückstanden, sickerte nach und nach in ihn ein. Ihn ärgerte auch, dass der erstrebte wissenschaftliche Glanz, den er für sich, seine Schüler und sein Institut wünschte, aus Geldmangel und wegen der politisch geforderten Abgrenzung zum Westen sichtbar dahinschmolz. Es half auch nichts, dass Prokop seine wissenschaftlichen Fäden quer durch Gesamtdeutschland zog: Das blieb sein privates Privileg ohne die gewünschten Folgen.
Prokop war dabei nicht nur der Kontakt in die seit dem Krieg führende Forschungsnation USA unmöglich. Auch die Kollegen aus der Sowjetunion durften bei Prokop nur ab und zu eine Stippvisite machen, meldeten sich danach aber nie mehr bei ihm. Einzig ein polnischer Kollege, der Rechtsmediziner
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