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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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wurde das auch von sowjetischer Seite eingestanden.
    Prokops Großeltern hatten sich unter anderem angeblich aus Furcht vor den Russen umgebracht . Vielleicht war das ein Grund, warum das Thema Katyn Prokop auch noch zehn Jahre, nachdem Russland die Schuld an den Taten endlich zugegeben hatte, flüsternd und sichtlich betroffen umtrieb.
    Als Prokop von seinem polnischen Kollegen Bolesław Popielski nach dem Mauerfall 1989 erfuhr, dass das russische Gutachten zum Fall Katyn fehlerhaft (oder gefälscht) war, ärgerte er sich darüber sehr und betonte auch mir gegenüber immer wieder, wie korrekt im Gegensatz dazu das deutsche Gutachten aus dem Krieg verfasst worden war. Ob das eine unbewusste Abwehr gegen die sonstigen Verbrechen der Deutschen war, gutachterliche Pedanterie oder etwas anderes, konnte ich nicht erkennen.
    Prokop hatte zudem miterlebt, wie in seinem Arbeits- und Einflussbereich Akten – beispielsweise die der Mauertoten – unterdrückt und nachträglich gefälscht wurden. Darin könnte ein weiterer Grund für seine ruhelose Beschäftigung mit Geschichts- und vor allem der Fälschung rechtsmedizinischer Befunde liegen. Bis zuletzt trieb ihn dabei besonders der Fall Katyn um.
    Die Katyn-Akte gehörte zu den Unterlagen, die Prokop nach der Wende während einer kurzen Abwesenheit aus dem Panzerschrank seines Büros gestohlen wurden.

    Es gab auch gute Nachrichten für Professor Prokop. Trotz des sowjetischen Einflusses blieben in Ostdeutschland wesentliche wissenschaftliche Rückschritte von Anfang an aus. Man blieb deutsch – und mit deutscher Gründlichkeit wollte man sich bewiesene Grundlagen der Naturwissenschaften nicht ideologisch zerreden lassen. Der Fall Lyssenko (siehe Box S. 115–120) hatte Prokop und seinen Kollegen aus den Biowissenschaften gezeigt, dass zumindest die wissenschaftliche Wahrheit und Klarheit siegen konnten. Doch ab Ende der 70er Jahre wurde Prokop durch seine Kongressreisen ins Ausland auch bewusst, dass Wissenschaft an der Forschungsfront mehr Geld kostet, als in Ostdeutschland zu haben war. Prokop versuchte daher mit Tricks und Nonchalance, die Geldbeschaffung für sein Institut selbst zu übernehmen .
    Die Behörden bemühten sich derweil, Prokop glücklich zu machen: Er erhielt eine Ehrung nach der anderen. Auch in der damals größten Zeitung Ostdeutschlands, dem Neuen Deutschland – zugleich das »Zentralorgan« der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands –, druckte man lobende Artikel über ihn. Gunther Geserick (geb. 1938), Prokops Nachfolger als Institutsdirektor, schrieb beispielsweise zum 65. Geburtstag Prokops im Jahr 1986 im Neuen Deutschland , dass »der Ruf der Gerichtsmedizin unseres Landes untrennbar und vorrangig mit seinem Namen verbunden ist, und dieser Name ist weltweit ein Gütesiegel. Das gilt gleichermaßen für sein internationales Wirken als Sachverständiger. Erinnert sei an sein engagiertes, konsequentes Auftreten bei der Begutachtung faschistischer Verbrechen von KZ -Ärzten, an ›festgefahrene‹ Fälle der strafrechtlichen Verfolgung von Gewaltverbrechen, bei denen er auch außerhalb der DDR auftrat. Stets war er ein Garant der wissenschaftlichen, unbestechlichen Wahrheitsfindung.«
    Das stimmte zwar und passte ins politisch geforderteProfil. Doch dass die Wahrheit außerhalb der Institutsmauern oft sehr verdreht war, das wusste Prokop so gut wie jeder seiner Gratulanten.
    Trofim Lyssenko (1898–1876)
    Trofim Lyssenko war Biologe und Agronom und wurde von Staatsführer Josef Stalin (1878–1953) in der Annahme unterstützt, dass Erbeigenschaften durch Umweltbedingungen stark beeinflusst beziehungsweise ganz bestimmt werden. Lyssenko behauptete in der Nachfolge Lamarcks unter anderem, dass man Pflanzen durch Aussetzen in kalte Umgebungen direkt abhärten könne und so – ohne Kreuzung und Züchtung – winterharte Nachkommen erhielte. 1936 versprach Lyssenko gemäß einer fünf Jahre vorher ergangenen Forderung der Kommunistischen Partei, ertragreichere Nutzpflanzen zu erschaffen und die Ernährungsprobleme der Sowjetunion zu lösen.
    Stalin mochte Lyssenko. Das lag unter anderem daran, dass Lyssenko, anders als viele Akademiker, ein Bauernkind war – also aus der Klasse, die im Sozialismus den Staat tragen sollte. Lyssenko wurde Stalins persönlicher Landwirtschaftsberater. Lyssenko versprach fortan stets einfache, verständliche (leider aber wirkungslose) Lösungen für fast alle landwirtschaftlichen Fragen.
    Im Jahr 1948 hielt er auf

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