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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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entdeckt wurde, schoss einer der Fluchthelfer mit einer Pistole auf den Grenzsoldaten Egon Schultz. Er traf ihn einmal, in die Schulter. Alle anderen Schüsse gingen daneben. Ein zweiter Grenzsoldat schoss zurück. Er traf im Dunkeln mit der Maschinenpistole seinen am Boden liegenden, verletzten Kollegen.
    »Egon Schultz verstarb am Tatort. Die erste Obduktion des Leichnams am selben Tag ergab, dass er insgesamt zehn Schussverletzungen hatte«, schreibt Bodo Müller, der den Fall recherchierte.

    Obwohl auch im Protokoll klar war, dass der Grenzsoldat Egon Schultz 1964 durch »friendly fire« im Fluchttunnel starb – also von seinem Kameraden erschossen wurde –, drehte man die Geschichte hinterher so, dass der westdeutsche Fluchthelfer den schwarzen Peter hatte. Zwar ist so etwas weltweit typische Geheimdienstarbeit, in Ostdeutschland wurde sie aber sehr oft auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt.
    In den 60er Jahren wurden an der Mauer Erschossene im Institut für Rechtsmedizin der Charité untersucht. Dies lief fachlich korrekt ab. Die Akten wurden dann aber dem MfS übergeben.

    Durch diesen Tunnel entkamen 57 Menschen aus Ostberlin in den Westen. Der Tunnel war sandig, eng und lebensgefährlich – doch der Drang nach Freiheit war größer als die Angst.
    »Die Morduntersuchungskommission Berlin, die im Auftrag des MfS den Tatort in Augenschein nahm, Spuren sicherte, ballistische Untersuchungen durchführte und sogar den Tathergang nachstellte, legte am 9. Oktober 1964 ein Gutachten vor, das der Staatsführung überhaupt nicht passte:
    Danach hatte der Westberliner Fluchthelfer aus einer Pistole Walther PPK 7,65 [Millimeter / Kaliber] insgesamt sieben Schuss abgefeuert. Die Schüsse schlugen in umgebende Gebäude ein – mit Ausnahme der vierten Kugel. Diese traf Egon Schultz von vorn an der linken Schulter und brachte ihn zu Fall. Das Projektil wurde bei der Obduktion im Rückenmuskel sichergestellt. Der Fluchthelfer hatte also, laut Bericht der Morduntersuchungskommission, nur einmal getroffen und sechsmal sein Ziel verfehlt.
    Aber der tote Unteroffizier wies zehn Schussverletzungen auf. Aus wessen Waffe wurden die anderen neun Schüsse abgefeuert?
    Das MfS ging dieser Frage zunächst nicht nach, sondern versuchte, an der einen nachweislichen Schussverletzung durch eine Westberliner Waffe die Legende vom kaltblütigen Mord aufzubauen.
    Die DDR -Staatsführung legte dem international anerkannten Gerichtsmediziner Professor Prokop die Frage vor, ob die eine Schussverletzung als tödlich anzusehen ist. Der Mediziner konnte am 9. Oktober 1964 aber lediglich bestätigen, dass es sich um eine gefährliche Körperverletzung handelt, deren Ausgang ungewiss sei.«
    Also verlegte sich das MfS auf Stimmungsmache und hielt den Rest des Berichtes 3901/64 unter Verschluss. Darin stand, dass neun weitere Schüsse von oben nach unten durch den Körper des Verletzten verliefen. Das waren die Schüsse aus dem Maschinengewehr des anderen Grenzsoldaten – also »friendly fire« von der eigenen Seite.
    Unter diesen Maschinengewehrschüssen war der tödliche Treffer. Er drang hinten an der linken Schulter ein, riss die Hauptschlagader auf und führte zu einer schweren Blutung. Ein Liter Blut ging allein wegen dieser Verletzung verloren. Da der Schuss auch noch durchs Zwerchfell und die Bauchspeicheldrüse führte und am Dünndarm oberhalb der Schamhaare austrat, landete das Projektil in der Unterhose des Soldaten.
    Der westliche Fluchthelfer hatte ohne Zweifel das Feuer eröffnet. Dennoch war der tote Grenzsoldat durch Schüsse seines Kollegen gestorben. Die Wahrheit, die für eine tragisch-dramatische Propaganda gegen die Fluchthelfer eigentlich genügt hätte, wurde in Ostdeutschland nicht berichtet. Man blieb bei der Lüge, dass der Westler den tödlichen Schuss abgefeuert hatte.

Kripo und Stasi
    Innerhalb der Stasi war wie erwähnt die Abteilung IX für kriminalpolizeiliche und kriminaltechnische Aufgaben zuständig. Dazu zählte unter anderem die Bearbeitung gemeingefährlicher Brandstiftungen oder politisch motivierter Graffitis (»staatsfeindliche Hetze«). Neben dieser kriminalpolizeilichen Abteilung des MfS gab es auch eine »echte« Kripo bei der Volkspolizei.
    Alle kriminalpolizeilichen Einheiten wurden an der Humboldt-Universität im Fachbereich Kriminalistik ausgebildet. Otto Prokop unterrichtete dort oft und gerne. Er sagte, dass für ihn nicht erkennbar war, wer von den Zuhörern zum MfS gehörte, wer ein

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