Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
DDR-Zeichen und ein DDR-Nummernschild hier in Köln, ist das ein Scherz?
Aber was hat er denn gedacht, wie das alles mal ausgeht? Er hat ja gesehen, dass das alles nicht gegen die Mauer, sondern gegen die Wand fuhr.
Das hat er klar erkannt, aber er glaubte an einen Generationenwechsel, an eine allmählich sich durchsetzende Reform von innen. Er glaubte nicht daran, dass die Menschen dort auf Dauer alles mit sich machen ließen.
Er hatte sicher nicht erwartet, dass sich ein revolutionärer Umschwung gewaltlos durchsetzen könnte. Die für ihn radikalen Umstrukturierungen an den Universitäten haben ihn schockiert. Er schrieb mir von zwei Selbstmorden von »Ost-Professoren«, wodurch er sich bestätigt sah: Er sah kein geschicktes Lavieren, kein Verständnis, kein Einlenken. »Wir sind jetzt eine Kolonie, die ausgebeutet und geknechtet wird«, so war seine bittere Bilanz.
Was ist Ihre private Meinung als Freund zu diesem Lavieren?
Ich konnte vieles nachempfinden. Vom gefeierten Star zum Mini-Renten-Empfänger, diese Fallhöhe war nicht zu verkraften. Denn er hatte ja nicht dem Regime gedient, sondern das Regime eingespannt, den Ruf der Wissenschaft und die Wissenschaftler zu respektieren, vor allem, weil sie die wichtigsten Lehrer der jungen Generation seien. Und Wissenschaft lehren hieß auch: Denken lernen, international und nicht einseitig ideologisch geprägt.
Da gab es natürlich immer Hilfe durch Zitate von Marx und Engels. Letzterer war für mich ein begnadeter Hobby-Wissenschaftler, seine Schrift über den Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen fasziniert mich noch heute.
Prokop wehrte sich auch gegen die Abwanderung von Ärzten in die BRD, denn für ihn galt der Spruch, dass man als Arzt jederzeit für seine Kranken da zu sein hatte, in guten und in schlechten Zeiten. Den Arztberuf sah er als Berufung an: Hier werde ich gebraucht, hier kann ich die Menschen nicht im Stich lassen, sie sind ohnehin oft unterversorgt.
Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.
Prokop sagte mir: »Indem ich hierbleibe, setze ich auch ein Zeichen. Denn ich könnte gehen. Ich bin kein Kommunist, sondern bilde Ärzte aus, die diesen Titel dann auch verdient haben.«
Er war keiner von oben und er war auch keiner von unten. Er sah sich als ein kulturelles Zentrum, in dem es um Forschung, Allgemeinbildung und ein breit gefächertes Fachwissen ging. Gerade die Gerichtsmedizin beinhaltet ja praktisch auch jedes andere medizinische Fach, von den naturwissenschaftlichen Disziplinen ganz zu schweigen.
Wie hält man sich aus der Politik raus? Nehmen wir mal einen Zwanzigjährigen – was soll man dem denn sagen?
Eine sehr diffizile Frage! Soll man das Böse zugunsten des Guten einspannen oder umgekehrt, sich vor den Karren des Bösen spannen lassen?
Ein klassisch gewordenes Beispiel ist der Nestor der Deutschen Sportwissenschaft, Professor Carl Diem [1882–1962], den ich selbst noch gekannt habe als sehr netten, freundlichen alten Herrn. Er spannte die Nazis für seine Idee von Sport, die ja nicht schlecht war, ein und konnte auf diese Weise für die Gesundheit der Menschen Gutes bewirken. Dass dies dann ausgenutzt wurde, um eine Armee junger Soldaten zu rekrutieren, war ein übler Trick der Nazis gewesen.
Aber dass Carl Diem am Ende des Krieges mit einer flammenden Rede noch diese jungen Menschen ins letzte aussichtslose Gefecht schickte, das war sein Verbrechen. Und nicht nur, weil er sich dann selbst in Sicherheit brachte. Otto Prokop sah sich im Dienst einer guten Sache, die es unter den gegebenen Umständen nicht einfach hatte. Ohne Kompromisse ging es nicht. Aber er hatte Macht und damit Einfluss, den er geltend machen konnte. Dabei halfen ihm auch viele Ehrungen in der DDR und den benachbarten Ostblockländern.
Der geistig Überlegene, aber Machtlose, und der machtpolitisch Dumme, aber Mächtige, das war oft sein Dilemma. Ich kannte es von meinem Vater her, der von der Dummheit führender Nazis entsetzt war und erschrocken über ihre Möglichkeiten, Macht auszuüben.
Ihr Vater war ein sehr bekannter Forscher.
Ja, das stimmt, aber auf dem Gebiet der Herz- und Gefäßkrankheiten. Ich erwähne das nur, weil auch er seine Standardbücher nur in der DDR bei seinem »alten« Verlag in Leipzig herausgebracht hat. Sein Motto war: Ich will, dass die Patienten in der DDR auf dem bestmöglichen Weg behandelt werden und dass ihre Ärzte bestens informiert sind.
Seine Bücher wurden als Lehrbücher hochgeschätzt,
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