Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
telefoniert. Dass einige Briefe von mir an ihn geöffnet wurden, das wussten wir und verhielten uns entsprechend. Wir lernten aber auch, zwischen den Zeilen zu lesen. Wenn ich drüben bei ihm war, und wir trafen uns in Gegenwart anderer, musste ich aufpassen, dass ich mich »als Kölner mit Humor« nicht provozieren ließ, über Witze bezüglich des DDR -Regimes zu lachen beziehungsweise noch einen draufzupacken. Man entwickelte die Art eines Buster Keaton [amerikanischer Komiker, der nie lachte, 1895–1966], die mir ohnehin sehr liegt, denn als Kölner lacht man niemals über die eigenen Witze. Ein Büttenredner, der lacht, fällt durch.
Sie wurden also in Ostberlin provoziert?
Des Öfteren, aber nur von sogenannten »Begleitpersonen«. Da war es dann gut, dass ich mich bestens in Sachen Marxismus auskannte, denn nach dem Krieg war es genau umgekehrt als später: In Ostdeutschland gab es viel mehr Bücher als im Westen, und man lieferte zusammen mit den Propaganda-Büchern auch viel schöngeistige Literatur in die Westzonen, vor allem von Dichtern aus Russland und von den Autoren, die von Marx und Engels geschätzt wurden, beispielsweise Shakespeare.
Mussten Sie auch während des Essens und dergleichen Alltäglichem aufpassen?
Ich denke, dass immer ein linientreuer »Mitarbeiter« dabei oder in der Nähe war, wenn ich in Berlin auftauchte. Die Stasi war immer präsent, allein schon durch den »russischen Zement«: drei Viertel Zement und ein Viertel Mikrofone. Da war es dann gut, über Bildung, Kunst und Wissenschaft, aber auch über Sport zu reden.
Prokop liebte den Sport, vor allem Wassersport. Jeden Morgen schwimmen und gelegentlich Wasserski, dann war er in seinem Element. Er hatte sogar ein Wochenendhäuschen an einem See außerhalb von Berlin, wo er sich im Wasserski-Surfen austoben konnte. Diesen »Luxus« brauchte er, um sich für sein enormes Arbeitspensum fit zu halten. Manche haben ihm das nicht gegönnt, aber es war ein absolut notwendiges Fitnessprogramm, wenn auch für DDR-Verhältnisse ein etwas privilegiertes. Warum nicht? Mich hat er mal mitgenommen, und ich fand es toll. Sein Bruder, der »Sport-Prokop«, wäre begeistert gewesen.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Ganz normal, wie das so in der Wissenschaft üblich ist. Ich war in London am Lister Institute, dem Mekka der Blutgruppenforschung, und publizierte in einer deutschen Zeitschrift über meine Blutgruppen-Studien. Prokop hatte damals schon ein Buch der dortigen Arbeitsgruppe übersetzt und herausgebracht. Nun sollte ich die britischen Kollegen fragen – so schrieb er mir –, ob sie was dagegen hätten, wenn er ihnen nun Konkurrenz machen und ein Buch in deutscher Sprache schreiben würde. Die Kollegen in London hatten nichts dagegen und stimmten zu.
Dann fragte mich der Professor aus Ostberlin, ob ich denn da mitmachen wolle. Ich sagte zu, mich nach Ablauf meines Stipendiums sofort an die Arbeit zu begeben und mit der Literatur-Recherche zu beginnen. Prokop war begeistert, und so machten wir uns an die Arbeit. Dass darüber hinaus noch einige wissenschaftliche Entdeckungen die eigentliche Zusammenarbeit ausmachen würden, das ahnten wir nicht.
Es handelte sich dabei vor allem um die Entdeckung von Invertebraten-Lektinen. Diese Kohlenhydrat-spezifischen Erkennungsmoleküle gab es bisher nur bei Pflanzen. Ich hatte in London schon einen Lektin-Experten kennengelernt, Doktor George Bird. Auch er hatte mir versichert, Lektine gäbe es nur bei Pflanzen.
Ich konnte mir aber damals schon nicht vorstellen, dass so ein fundamentales Phänomen wie die Erkennung von ubiquitär verbreiteten Kohlenhydrat-Strukturen nur auf Pflanzen beschränkt sein sollte. Hatte doch gerade der mit mir befreundete Professor Georg Springer in den USA AB H ( 0 ) -Blutgruppensubstanzen bei Bakterien entdeckt und zwar mit Hilfe von Blutgruppen-spezifischen Lektinen!
Zum Verständnis: ABH( 0 ) -Blutgruppen haben Kohlenhydrat-Charakter. Professor Pettenkofer aus Berlin hatte daraufhin eine plausible Theorie über die Verteilung der Blutgruppen in der Welt in Zusammenhang mit Seuchen und Infektionen entwickelt. Plötzlich sah man die Blutgruppen in ganz anderem Licht: Sie können nicht nur immunisieren, sogenannte Iso-Antikörper bilden, sondern könnten sogar immunologisch-allergologisch von Interesse sein.
Prokop suchte nun zu erfahren, ob Blutgruppen nicht auch außerhalb von Mensch und Bakterien zu finden wären. Zufällig stieß er dabei auf
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