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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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und ich wurde später oft darauf angesprochen. Auch bei ihm kamen die Korrekturen per Eilboten, fast täglich. Beide, mein Vater und Prokop, waren der Meinung: Wenn Dummköpfe an die Macht kommen, sind sie wie vernebelt in einem Rausch, dann sind unmenschliche Taten, Folter und grausamer Mord möglich, die niedrigsten Instinkte toben sich ungebremst aus. Die intellektuell Vernebelten, das sind die Schreibtischtäter, Verbrecher als sogenannte Weltverbesserer.
    Sie beschreiben den SS-Staat.
    Genauso ist es. Als Gerichtsmediziner hat sich Prokop sehr intensiv mit der kriminellen Energie des Menschen beschäftigt. Er meinte, etwas davon schlummert in jedem von uns. Wie überhaupt das An- oder Abschalten von Genen als wissenschaftliches Problem ein heißes Diskussionsthema zwischen uns war. Dabei ging es nicht nur um kriminelle Energie, sondern auch um die Leistungsfähigkeit von talentierten Sportlern. Manchmal wurde die sogar mit Blutgruppenzugehörigkeit in Verbindung gebracht, was aber Unsinn ist.
    Die heutige Epigenetik hat das ganze Gebiet in einer Weise revolutioniert, wie ich es kaum für möglich, aber denkbar gehalten habe. Dass es auch eine Vererbung erworbener Eigenschaften gibt – ich glaube, da hätte auch Otto Prokop umdenken müssen.
    Haben Sie sich jemals für eine politische Partei interessiert?
    Während des Krieges sympathisierte ich mit den »Edelweißpiraten«, einer Kölner Widerstandsgruppe, die mir geholfen hatte, vom Schanzeinsatz Westwall abzuhauen.
    Als Student hat mich, nicht zuletzt durch einen fulminanten und brillanten Vortrag, der damalige SPD-Chef Kurt Schumacher begeistert. Unter Willy Brandt wurde ich dann sogar Mitglied.
    Meine Familie allerdings war sehr konservativ und eher CDU- freundlich, allein schon durch die Bekanntschaft mit Adenauer. Im Dritten Reich war die Familie im Widerstand engagiert, was in einem lesenswerten Buch von Dieter Kilian (»Adenauers vergessener Retter – Major Fritz Schliebusch«, Miles-Verlag 2011) recht spannend nachzulesen ist. Das Buch schildert ein Musterbeispiel für lavierendes Paktieren und Klüngeln in einer Diktatur.
    Das kann aber auch lebensbedrohliche Situationen hervorrufen. Denn es ist ja eine ganz andere Schwelle, unter dem System sozusagen hindurchzutauchen oder sich dagegenzustellen.
    Das ist in meinen Augen damals alles sehr fatalistisch gewesen. Als der Krieg verloren galt, hat man uns eingeredet, es würde bald weder Deutsche noch Deutschland geben. Im Grunde malte man die Zukunft so hoffnungslos, dass es schließlich egal war, wie man durch wen ums Leben kam. Überleben, so trichterte man uns ein, macht überhaupt keinen Sinn, das geht gar nicht. Entweder Sieg oder Tod. Andere Perspektiven gab es nicht.
    Und in der DDR war die Situation nicht so, weil gegen das Regime zu kämpfen tollkühn gewesen wäre?
    In der DDR wusste man aus der Erfahrung der Ostblockstaaten, dass man mit dem totalitären System dieser Spitzel-Staaten überleben kann, wenn auch unter Preisgabe der Freiheit. Man hat sich in das private Glück zurückgezogen oder mitgemacht oder beides. Passiven Widerstand gab’s aber oft als Ventil in vielen Witzen, die kursierten.
    Professor Prokop hat sich also mehr oder weniger sehenden Auges in den Käfig hineinbegeben?
    Das schon, aber als er dem Ruf nach Ostberlin folgte, gab es noch keine Mauer, der Käfig war noch offen. Und die Humboldt-Universität hatte einen Namen! Ihn reizte auch das Institut: Prestige oblige! Der Name war Verpflichtung und eröffnete breitgefächerte Möglichkeiten.
    Was bleibt übrig in Ihrer Erinnerung? Finden Sie das alles todtraurig oder war es vorprogrammiert?
    Letzteres schon gar nicht, denn die Wende war nicht vorherzusehen. Todtraurig auch nicht, denn bis dahin hatte er ein ungewöhnlich reiches, erfülltes und erfolgreiches Leben. Auch sein Privatleben mit Kindern und Frau Helmi war äußerst glücklich: Man verstand sich und hielt zusammen. Und man war nicht arm.
    Tragisch war das Ende. Ich hatte das nicht glauben können, denn er hatte keine Risiko-Faktoren wie etwa Übergewicht oder hohen Blutdruck. Der willkürlichen Macht des west-östlichen Turbo-Kapitalismus stand er machtlos gegenüber: Was einmal Geltung hatte für ihn, das galt nicht mehr. Seine Wertvorstellungen gerieten ins Wanken, seine Anerkennung erkannte man nicht mehr an, seine Verdienste sollten nur dem Regime gedient haben und so weiter.
    Er war nicht mehr gefragt, und man fragte ihn leider auch nicht mehr.
    Noch immer

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