Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Wort »Sättigungsbeilage« benutzen wir heute noch, wenn wir uns an die Zeiten damals erinnern.
Ostberlin und Umgebung war uns und unseren Kindern dadurch schon etwas vertraut. Die Grenzkontrollen waren aber immer sehr unangenehm: das Herumstochern im Tank des Autos, das Ausbauen der Rücksitze, das Abnehmen der Musik-Kassetten. Wir waren immer froh, wenn wir wieder zurück waren.
Unsere Kinder kannten die Grenzkontrollen eben sonst ganz anders: nach Dänemark, Frankreich, Italien. Im Intershop haben wir nur selten etwas gekauft.
Einmal habe ich zur DDR -Zeit einen Kollegen unter ganz konspirativen Umständen besucht, ein andermal haben wir an einem Ärzteball in der DDR -Provinz teilgenommen. Alles war ein wenig gespenstisch.
An den Fall der Mauer hätte ich nie geglaubt. Ich sah die Grenze (den antifaschistischen Schutzwall) fast jeden Tag. Mein Landesinstitut lag ja nur wenige Meter vom Übergang Invalidenstraße entfernt.
Der Fall der Berliner Mauer kommt mir heute noch wie ein Wunder vor. Die Begeisterung auf beiden Seiten hätte man politisch besser nutzen können. Dass kein Blut geflossen ist, grenzt ebenfalls an ein Wunder. Und die rumänische Lösung blieb uns auch erspart. Unser Rechtssystem hat sich in der Nachwende-Zeit bewährt.
Als Rechtsmediziner der Freien Universität hatten auch wir unseren Anteil an der Aufarbeitung des Unrechts an der Hinterlassenschaft der DDR – Stichwort: Regierungs- und Vereinigungskriminalität. Nach meinem letzten Gutachten zur Haft- und Verhandlungsfähigkeit konnte Erich Honecker nach Chile ausfliegen, wo er dann bald danach gestorben ist.
Die Kontakte zu den Kollegen am Ostberliner Institut waren eher einseitig, das heißt, ich habe zu Gastvorträgen und zu akademischen Veranstaltungen eingeladen, und man kam zu mir nach Westberlin an die FU . Der Weg in umgekehrter Richtung war doch eher versperrt.
Ich erinnere mich heute nur noch an einen runden Geburtstag, zu dem mich Professor Prokop eingeladen hatte. Ich konnte damals die Grenze Invalidenstraße ohne die sonstigen unangenehmen Kontrollen passieren. Man war wohl über mein Kommen unterrichtet. Ähnliches erlebte ich noch einmal in den Tagen des 40. Geburtstages der DD R, als mich Professor Krause zu einem Vortrag nach Magdeburg eingeladen hatte.
Nach der Wende suchten viele Kollegen aus der DD R Kontakt zu mir. Zu Professor Geserick, dem Nachfolger von Professor Prokop, entwickelte sich eine Freundschaft, in die auch die Frauen einbezogen wurden. Nicht nur er, sondern auch die Professoren Strauch und Radam waren bei uns zu Hause Gast, Professor Geserick auch in unserem Ferienhaus in Schleswig-Holstein. Das ist aber alles schon wieder Geschichte. Über meine persönlichen Enttäuschungen möchte ich hier nicht reden.
Viele (ehrliche) freundschaftliche Kontakte kamen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit den Kollegen aus dem sozialistischen Ausland zustande: Ungarn, Polen, Russland, aber auch zu den Ländern des Baltikums. Professor Popov aus Sankt Petersburg war mir über viele Jahre ein guter Freund, und zu Professor Sotonyi (Budapest) bestehen noch heute freundschaftliche Beziehungen.
Aber noch einmal zurück zu dem Ostberliner Institut: Nach der Fusion der beiden Universitätsinstitute ( FU und HU ) habe ich für den Erhalt des Instituts in der Invalidenstraße gekämpft. Für die Mitarbeiter, die möglicherweise arbeitslos geworden wären, habe ich mich persönlich sehr eingesetzt. Sie konnten überwiegend weiter beschäftigt werden, manche von ihnen sogar auf Dauerstellen.
Bei der Berufung meines Amtskollegen nach der Wende bin ich natürlich auch gefragt worden. Herrn Professor Prokop, der sich in Westberlin heftigen Angriffen in der Öffentlichkeit ausgesetzt sah, habe ich öffentlich verteidigt – wenn ich mich recht erinnere in der Zeitschrift Berliner Ärzte .
Professor Prokop war wissenschaftlich hoch geschätzt, sowohl im sozialistischen wie auch im nicht-sozialistischen Ausland, er war aber auch Nationalpreisträger der DDR .
Mein Eindruck heute ist der, dass die Verletzungen in den vergangenen Jahren vielfach so schwerwiegend waren, dass eine Normalisierung der Verhältnisse an der Charité noch viel Zeit benötigen wird. Die Zeit nach der Fusion der beiden Universitätsinstitute war für uns in Berlin-Dahlem alles andere als lustig. Aber auch dazu möchte ich mich hier nicht mehr äußern. Dies hieße nämlich, alte Wunden wieder aufreißen. In der Fusion hätte eine große Chance
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