SGK264 - Im Wartesaal der Leichen
die Nägel nicht zuvor entfernte.
Fu erhielt aus einem Putzeimer eine Dusche kalten Wassers über den
Kopf. Der ohnmächtige Chinese prustete schwach, und es war ein zweiter und
dritter Guß notwendig, ehe er zu sich kam und mit schwerer Stimme fragen
konnte, was eigentlich geschehen war.
»Das nächste Mal bist du vorsichtiger«, sagte Thai Hong
mitleidlos. In seinen Augen glitzerte es kalt. »Ich bin es gewohnt, daß meine
Leute auf der Seite des Siegers stehen! Ich kann sie nicht am Boden liegen
sehen !«
Man merkte dem gemaßregelten Chinesen an,
wie schwer es ihm fiel, auf die Beine zu kommen. Keiner seiner Kumpane war ihm
dabei behilflich.
Der Verletzte stand schwankend wie ein Schilfrohr im Wind und
tastete nach seinem schmerzenden Hinterkopf.
»Es ist schon wieder alles okay, Thai. Du kannst dich ganz auf
mich verlassen«, murmelte er mit schwacher Stimme. Das Sprechen fiel ihm
schwer, und vor seinen Augen tanzten Sterne.
Thai Hong drehte sich an der Tür noch mal um. »In zwei Stunden ist
es dunkel genug, daß wir die Fracht aus dem Haus schaffen können. Wir knöpfen
uns die Kerle auf der Dschunke vor. Und vergeßt nicht - noch drei Leichen müssen
präpariert werden! Die Kunden warten auf ihre Ware .«
Er zupfte eine dicke Zigarre aus der Brusttasche seines Hemdes und
zündete sie in aller Gemütsruhe an. Dicke Qualmwolken vor sich hinpaffend, zog
er die Kellertür zu und lief den schmalen Korridor zu den gewundenen, steil
nach oben führenden Treppen zurück. Am Ende des Weges mündete eine Tapetentür
in den Hinterraum, der zur einen Hälfte von dem schweren Samtvorhang mit dem
Drachenmotiv abgetrennt war.
Thai Hong sah die Ereignisse mit einem lachenden und einem
weinenden Auge.
Die Zusammenarbeit mit seinen Leuten klappte vorzüglich. Da konnte
er sich nicht beschweren. Sorgen bereitete ihm allein
die Tatsache, daß kurz hintereinander zwei Fremde in seinem Haus auftauchten
und so taten, als ob sie Kunden seien und in Wirklichkeit versuchten, etwas
herauszufinden, womit sie ihm am Zeug flicken konnten.
Er würde kämpfen wie ein Löwe! Was er sich in langen Jahren harter
Arbeit aufgebaut hatte, würde er sich nicht im Handstreich nehmen lassen.
Er mußte nur eins wissen. Steckte die Polizei dahinter, ein
ausländischer Geheimdienst, der etwas ahnte, woher die Ware kam, oder wurde in
Hongkong eine neue Gruppe aktiv, Konkurrenten, die seinen Markt übernehmen
wollten?
Thai Hong neigte dazu, das Letztere anzunehmen.
Nun - spätestens in zwei bis drei Stunden würde er mehr wissen.
Auf der Dschunke gab es genügend Möglichkeiten, die beiden Gefangenen zum Reden
zu bringen. Er hatte da seine ganz eigenen Methoden.
*
Die junge Chinesin mit der PSA-Bezeichnung X-GIRL-G setzte sofort
ihre ganze Kraft ein, um wieder frei beweglich zu sein.
Ruckartig beugte sie sich nach vorn, riß die Arme nach hinten und
schleuderte die lebende Leiche über sich hinweg auf eine weitere zu, die sich
auf Mi Tsu stürzen wollte.
Die Aktion war erfolgreich.
Ein dumpfes, trockenes Rascheln erklang, als die beiden
ausgemergelten, mumifizierten Körper gegeneinander prallten.
Sie fielen beide zu Boden.
Mi Tsus gellender Schrei hallte markerschütternd durch die große
Empfangshalle, in der rund zweihundert Särge standen.
Der Weg bis zur Tür war flankiert von Körben, in denen zugedeckte
Leichen lagen, von hölzernen Särgen und stählernen Kisten, von denen manche
schon fünfzig, sechzig oder siebzig Jahre alt waren.
Im Wartesaal der Leichen entspann sich für Su Hang, Chang Li und
Mi Tsu ein Kampf auf Leben und Tod.
Da waren nicht mehr nur fünf oder sechs lebende Tote, die aus
ihren makabren Aufbewahrungsstätten gekommen waren - da waren fünfzehn,
achtzehn, zwanzig, die ihnen den Weg abschnitten und sie in Kampfhandlungen
hineinzogen.
Chang Li hatte alle Hände voll zu tun.
Wie Windmühlenflügel arbeiteten sich seine Arme durch die Luft. In
Kung-Fu-Manier sprang er Gegner an und warf sie mit einem Tritt zu Boden,
während er gleichzeitig seine Arme spreizte und die flache Hand in die
trockenen, spröden Gesichter der Angreifer klatschte, die ihm von der Seite her
ans Leder wollten.
Ohne einen Laut von sich zu geben, flogen sie zurück, prallten
gegen die Mauer der anderen lebenden Leichen, die aus dem schummrigen, großen Raum
von allen Seiten her auf die Besucher eindrangen, und wurden wie von einem
Katapult zurückgeschleudert.
Chang Li tauchte weg.
Er unterlief zwei der makabren
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