SGK284 - Nacht im Horror-Hotel
hören,
Mademoiselle, die Geschichte, die Christine ins Verderben stürzte ?«
Im fahlen Licht der Flurbeleuchtung
nickte Claudine Solette .
»Dann kommen Sie, wenn Sie sich die
Zeit nehmen wollen, was ich weiß ... von jener Nacht im Horror-Hotel, der
einzigen, die Christine dort verbrachte ... Und dabei hatte sie sich so darauf
gefreut, das Hotel von seinem schlechten Ruf zu befreien und wieder ein
florierendes Unternehmen daraus zu machen ...«
Claudine Solette folgte der alten, gebückt gehenden Frau.
In dem muffigen Hausflur roch es nach
Bratkartoffeln und Knoblauch.
Madame Louson wohnte in der ersten Etage. Die Wohnung war klein und bestand nur aus zwei
Zimmern. Die schiefen Wände des alten Hauses waren leicht nach innen geneigt.
Eine altmodische Lampe mit vergilbten
Troddeln hing über einem runden Eichentisch. Vier Stühle mit verschlissenen
Polstern umstanden ihn.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte
Christines Mutter.
»Danke .«
Alles wirkte sehr ärmlich, aber
sauber. Auf einem verschnörkelten Vertiko standen alte Fotos. Sie zeigten
Kinderaufnahmen eines Mädchens. Allein und mit den Eltern.
Es gab ein großformatiges Foto an der
Wand, vor dem frische Blumen standen. Das Bild einer jungen Frau Mitte zwanzig
zog Claudine Solettes Blicke an.
»Ja, das ist Christine«, murmelte die
Frau an der Seite der Agentin. »So kennen Sie sie wahrscheinlich noch ...«
X-GIRL-F nickte sanft. Sie musste bei der einmal gebrauchten Ausrede bleiben, um sich
nicht verdächtig zu machen.
»Ich habe gehört, dass Sie vor kurzem eine große Erbschaft gemacht haben soll, Madame ... Sie sprachen
bereits von dem Hotel. Ich hatte ursprünglich die Absicht, zu ihr zu fahren und
dort zu übernachten .«
Der Gesichtsausdruck der alten Frau veranlasste die Agentin, nicht fortzufahren. Sie sah
erschrocken drein.
»Seien Sie froh, Mademoiselle, dass Sie erst hierher gekommen sind. Im Hotel ist niemand, seitdem Christine es verlassen hat... Darf ich
Ihnen etwas zu trinken anbieten ?«
Da sich auch Madame Louson ein Glas hinstellte, lehnte Claudine nicht ab. Der
Rotwein schmeckte vorzüglich.
»Das ist der einzige Luxus, den ich
mir auf meine alten Tage noch leiste. Es sieht scheußlich hier aus, nicht wahr ?« sagte sie unvermittelt, mit einer umfassenden Geste ihre
Umgebung andeutend. »Nur wenn man hier ist, versteht man, dass Christine den einen Wunsch hatte, eines Tages das alles hinter sich zu lassen.
Wir waren schon immer arme Leute. Sie wollte ’raus aus dieser Armut. Aus
eigener Kraft hätte sie es wahrscheinlich nie geschafft, wie es mir und meinem
Mann auch nicht gelungen ist. - Dann kam die Erbschaft. Ein Bruder meiner
Mutter hatte vor mehr als dreißig Jahren ein altes Hotel in der
Nähe des Cap Frehel erworben. Mit seiner Hände Fleiß baute er es aus, und bald konnte er davon
leben. Dann kamen die Gerüchte auf ...«
Sie machte eine Pause und sah
gedankenversunken vor sich hin.
»Welche Gerüchte, Madame?«
»Mit Onkel Louis sollte etwas nicht
stimmen. Er ließ nicht mehr jeden in sein Hotel. Nur noch reiche Geschäftsleute
und Sonderlinge verkehrten bei ihm, und er sollte - auch das wurde behauptet -
seltsame Dinge unter seinem Dach erlauben. Es war die Rede von Sex-Orgien, von
okkulten Praktiken und Schwarzen Messen. - Onkel Louis war schon in seiner
Jugend ein Sonderling. Und die Dinge, die uns zu Ohren kamen, passten zu ihm. Vor drei Jahren nun traf das Schreiben
eines Notars bei uns ein. Louis teilte Christine mit, dass er sie als Alleinerbin eingesetzt hätte. Mit seinem Ableben würde sie
automatisch Erbin seines gesamten Besitzes. Nun, der bestand in erster Linie
aus dem Hotel. Christine war überglücklich. Sie schmiedete Pläne und wollte
einen Reklamefeldzug starten, um das >Hotel de Louis< bekannt zu machen.
Gerade für Touristen, so meinte sie, sei das abgelegene Haus ein
Anziehungspunkt, wenn man es nur attraktiv genug gestaltete. Ihr schwebte vor, besonders die Küche zu erwähnen, um die
Urlauber anzusprechen, die in der Umgebung des Caps ihre Zelte aufschlugen.
Eine gute Küche, so meinte sie, sei das beste Aushängeschild .« Sie redete sich in Rage. Claudine Solette unterbrach
den Redefluss der Frau nicht.
» ... Aber all ihre Pläne blieben
Luftschlösser .« Sie begann plötzlich leise vor sich
hinzuweinen, tupfte sich die Augen aus und fuhr langsam mit dem Erzählen fort.
»Onkel Louis war tot, und ihr gehörte das Hotel. Christine fuhr hin, um sich
mit ihrem neuen Besitz vertraut
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