SGK284 - Nacht im Horror-Hotel
unsympathisch, und sie war nach der langen, anstrengenden Fahrt
quer durch das Land gern bereit, ein bisschen unkomplizierte Konversation zu treiben.
Sie knüpfte an seine letzten Worte an,
kam auf die anderen Gäste zu sprechen, die sie vorhin noch gehört hatte, und
fragte, ob er da keinen Gesprächspartner gefunden hätte. Da erfuhr sie, dass er - wie sie - erst vor wenigen Minuten das Lokal
betreten hatte und selbst überrascht war, es so leer vorzufinden.
»Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle«, sagte er dann, während er sich einen Stuhl zurechtrückte.
»Mein Name ist - Frederic . .. Frederic Delibre .«
*
Sie hatte sich völlig unter Kontrolle.
Du träumst, sagte sie sich im stillen,
kaum dass sein Name verklungen war. Das kann nicht
sein.
Frederic Delibre . . . das war der Name, der heute in der Presse des Öfteren erwähnt worden wär. Delibre und seine Frau waren
unter mysteriösen Umständen seit vierundzwanzig Stunden verschwunden. Gefunden
worden war das Fahrzeug.
In der Agentin schlug eine Alarmglocke
an. Sie ließ sich nichts anmerken und ging mit keinem Wort auf ihren Verdacht
ein.
»Ich heiße Claudine .. . Claudine Solette «, sagte sie einfach und nippte an
ihrem Glas.
Der Mann war mit einem Mal
hochinteressant für sie geworden.
Was machte Frederic Delibre in diesem Hotel? Warum war seine Frau nicht bei
ihm? Wusste er nichts davon, dass man sein Fahrzeug ungefähr fünfzig Kilometer vom Cap entfernt zwischen den
Klippen gefunden hatte, dass man nach dem Ehepaar Delibre suchte wie nach der berühmten Stecknadel im
Heuhaufen?
Dies waren nur einige der Fragen, die
Claudine durch den Kopf gingen.
Sie steuerte das Gespräch so
geschickt, dass Delibre unwillkürlich auf einige dieser Fragen indirekt Antwort gab. Aber diese
Antworten waren offensichtlich nicht viel wert. Claudine erfuhr, dass er als Reisender unterwegs war und oft in diese
abgelegene Gegend kam, in dieses Hotel, um zu übernachten. Das aber deckte sich
nicht mit den Auskünften, die die Polizei an die Presse weitergegeben hatte.
Demnach waren Frederic und Constanze Delibre als
Urlaubsreisende an ihrem eigentlichen Ziel bis zur Stunde nicht angekommen.
War dieser Frederic Delibre möglicherweise nicht der, für den sie ihn hielt?
Eine zufällige Namensgleichheit?
X-GIRL-F hatte eine Möglichkeit, dies
nachzuprüfen. In ihrem Auto lag noch eine Ausgabe des »Figaro« vom heutigen
Tag. Darin befanden sich zwei Fotos des vermissten Ehepaares. Dadurch, dass sie selbst heute so massiv
eingespannt gewesen war, hatte sie den Bericht nur flüchtig gelesen und vor
allem während der Fahrt auf die Nachrichtenmeldungen im Auto geachtet.
Sie führte ein sehr saloppes, beinahe freundschaftliches
Gespräch mit ihrem Tischnachbarn.
Sie spielte ebenfalls ihre Rolle und
erklärte ihm, weshalb sie unterwegs sei und was sie beruflich tat. »Es ist zum
Lachen«, sagte sie kopfschüttelnd, »aber wir sind fast Kollegen. Auch ich bin
unterwegs, um Ware an die Leute zu bringen. Für Lasconne vertreibe ich Parfüms, Seifen und Cremes. Wir wollen gerade in diesem
unterentwickelten Bezirk - was unsere Produkte anbelangt - den Umsatz im
kommenden Jahr verdoppeln ...«
Sie fand die Gelegenheit, eine Ausrede
zu gebrauchen. Als sie - wie zufällig - einen Blick in ihre Handtasche warf, um
erstaunt festzustellen, dass sie ihre Puderdose im
Auto vergessen hatte, entschuldigte sie sich und ging nach draußen.
»Ich bin gleich wieder zurück ...«
Sie verließ das >Hotel de
Louis<. Wenige Schritte vom Eingang entfernt parkte ihr Wagen.
Auf dem Rücksitz lag die
zusammengefaltete Zeitung.
Claudine Solette konnte nicht sagen, ob ihr Gesprächspartner möglicherweise Verdacht geschöpft
hatte und sie nun, ohne dass sie es bemerkte, aus dem
Hotel beobachtete.
Sie beugte sich über die Lehne des
Vordersitzes und tat so, als suche sie auf dem Rücksitz und der Fensterablage
nach der angeblich verlegten Puderdose.
In Wirklichkeit faltete sie mit
schnellen Fingern im trüben Licht der Innenbeleuchtung die Zeitung auseinander.
Die Fotos der beiden Verschollenen befanden sich unten rechts auf der ersten
Seite.
Es bedurfte keines eingehenden
Studiums der Aufnahme des Mannes. Selbst bei diesen Lichtverhältnissen war zu
erkennen, dass der Mann im Restaurant und der
Fotografierte ein und dieselbe Person waren!
Claudine Solettes Lippen bildeten einen harten Strich in ihrem hübschen, runden Gesicht. Die
junge Französin rätselte über das Verhalten
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