Shadow Falls Camp - Erwacht im Morgengrauen: Band 2 (German Edition)
toll. Sie drückte ihr Kissen so fest, dass sie es mit Sicherheit erdrückt hätte, wenn es lebendig gewesen wäre. Socke maunzte laut und trippelte ans Fußende des Bettes. Kylie stöhnte ins Kopfkissen. Es wäre doch sowieso schon schwierig genug gewesen, einzuschlafen, auch ohne die ganze Derek-versus-Lucas-Geschichte im Kopf …
6. Kapitel
Eine Stunde später hatte sie noch kein Auge zugetan. Zumindest nicht länger als ein paar Sekunden. Jedes Mal, wenn sie gerade kurz vorm Einschlafen war, überkam sie so ein seltsames Gefühl – als würde sie schweben oder fliegen – und das riss sie dann wieder aus dem leichten Schlummer. Einmal sah sie für einen kurzen Moment Lucas.
Er war umgeben von Wolken, und ein kühler Wind wehte. Als sie genauer hinsehen wollte, schob sich eine Nebelschwade vor ihn. Er trug ein Hemd, das nicht zugeknöpft war, und der Wind entblößte seine muskulöse Brust und seinen flachen Bauch. Dann verstärkte sich die wolkige Atmosphäre, und das Gefühl des Fliegens wurde stärker. Kylie wachte auf.
Sie hielt den Atem an, setzte sich auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Enttäuschung breitete sich aus, doch sie unterdrückte sie. An den anderen Traum, den sie von Lucas gehabt hatte – sie mit ihm im Wasser, nur teilweise bekleidet –, konnte sie gar nicht denken, ohne rot zu werden. Das Letzte, was sie brauchen konnte, war ein weiterer Traum von dieser Sorte.
Sie wälzte sich zur Seite und boxte in ihr Kissen, als könnte es etwas dafür. Dann setzte sie sich abrupt auf und knipste das Licht an. Ohne nachzudenken, zog sie den Brief aus der Nachttischschublade. Den Brief von Lucas. Den Holiday ihr vor Tagen gegeben hatte und den sie bis heute nicht gelesen hatte.
Hi Kylie,
ich habe bestimmt schon zehnmal angefangen, dir zu schreiben. Doch jedes Mal habe ich das Papier wieder zerknüllt und in den Papierkorb geworfen. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll, weil es so wenig gibt, das ich dir im Moment sagen kann. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich dir nicht schreiben sollte … Es ist falsch. Es gibt so viele Gründe, warum ich nicht die ganze Zeit an dich denken sollte, Gründe, die nichts mit dir, sondern nur mit mir zu tun haben. Ich weiß, das klingt grad alles ziemlich wirr, und wenn ich könnte, würde ich es dir erklären. Und wer weiß, wenn alles so läuft, wie ich es mir erhoffe, dann kann ich es dir irgendwann erklären. Ich bin mir nicht sicher, ob das etwas verändern würde, aber verdammt, ich hoffe es sehr.
Verstehst du jetzt, warum ich diesen Brief immer wieder zerrissen habe? Das ergibt doch alles keinen Sinn, oder?
Das Einzige, was Sinn ergibt, ist das: Du bist etwas Besonderes, Kylie. Und es tut mir leid, dass ich dir das nicht persönlich gesagt habe. Es tut mir leid, dass ich dir nicht gleich gesagt habe, dass ich mich an dich erinnere. Aber ich war zu geschockt, als ich dich am ersten Tag im Camp gesehen habe. Geschockt und fasziniert. Du wusstest etwas über mich, das ich versucht hatte zu verstecken – sogar vor mir selbst. Meine Eltern haben einige sehr schlimme Dinge getan, und als ich jung war, wusste ich es nicht besser, also habe ich meistens mitgemacht. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich diese Zeit in meinem Leben vergessen möchte.
Ehrlich gesagt: du warst das Einzige, das ich nicht vergessen wollte. Das kleine blonde Nachbarsmädchen, das aussah wie ein Engel und so geheimnisvoll war. Was warst du? Wer warst du? Du hast mich schon damals eingeschüchtert und gleichzeitig fasziniert. Ich habe diese Gefühle für dich nicht verstanden. Die Jungs, die die Steine nach dir geworfen haben, hätte ich am liebsten umgebracht. Ich wollte deine Haare berühren, um zu sehen, ob sie so weich waren, wie sie aussahen. Bei Vollmond habe ich dich beobachtet und gehofft, dass du dich verwandelst. Dass du auch ein Werwolf bist.
Ich glaube, ich habe gerade herausgefunden, warum ich diesen Brief schreiben muss. Nämlich um dir zu sagen, was du mir bedeutest, für den Fall, dass es mir nicht mehr möglich ist, dir das persönlich zu sagen. Jetzt muss ich es nur noch schaffen, das hier in einen Umschlag zu stecken, ehe ich es mir anders überlege und es doch noch in den Müll werfe.
Ich denke an dich
Lucas
PS: Träum von mir.
Die letzten Zeilen hallten in ihrem Kopf wider. Träum von mir. Wenn der wüsste …
Plötzlich waren all ihre anderen Gefühle wie weggewischt, und sie fühlte nur noch eins: Wut.
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