Shadow Falls Camp - Erwacht im Morgengrauen: Band 2 (German Edition)
Tatsache, dass Perry sich damals, als du ihm die Ohren langgezogen hast, nicht einfach in ein wütendes Wildschwein verwandelt und dich aufgespießt hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Das war das Erste, was mir Chan über die Welt der Übernatürlichen beigebracht hat. Sei vorsichtig mit Gestaltwandlern, mit denen ist nicht zu spaßen.«
Della legte den Kopf schief, als würde sie lauschen. »Oh, verdammt. Doch eher früher als später.«
»Was?« Kylie bekam keine Antwort von Della.
Della war verschwunden. Kylie verstand immer noch nichts, bis sie Miranda schreien hörte und wütendes Tiergebrüll die morgendliche Stille zerriss.
Kylie rannte so schnell sie konnte, was schon viel schneller war, als sie es noch vor einem Monat gekonnt hätte. Sie bog um die Ecke und sah ein Stück weiter vorn zwei riesige schwarze Bären, die mit den Pranken aufeinander einschlugen.
Della hielt Miranda fest, die versuchte, sich loszureißen, als wollte sie sich zwischen die beiden kämpfenden Tiere stellen. Kylie brauchte etwa eine halbe Sekunde, um zu begreifen, dass das keine normalen Riesenbären waren. Nein. Das mussten Perry und Kevin sein.
Als der größere Bär die Tatze auf die Schulter des anderen niedersausen ließ und Blut auf den Pfad spritzte, schrie Kylie auf. »Hört auf damit!«
Sie hätte genauso mit einer Wand reden können. Die beiden wütenden Tiere gingen weiter aufeinander los. Plötzlich sprühten Funken in der Luft und einer der Bären verwandelte sich in einen Löwen. Und der Löwe war riesig, etwa so groß wie ein Minivan. Sein Brüllen war so laut, dass es Kylie in den Ohren wehtat. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich der andere Bär ebenfalls in einen Löwen – nur in einen noch größeren. Der Klang aufeinanderschlagender Zähne unterbrach das Brüllen und noch mehr Blut verteilte sich auf dem trockenen Boden unter ihren Pfoten.
Kylie wusste nicht, ob die Verletzungen, die sich die beiden gerade zufügten, von Dauer waren oder ob sie, wenn sie sich zurückverwandelten, unversehrt sein würden. Als einer der Löwen den anderen an der Kehle packte, wurde Kylie klar, dass sie nicht einfach dabeistehen und zusehen konnte, wie die beiden sich gegenseitig umbrachten. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, warf sie sich mitten ins Geschehen und fasste den größeren Löwen bei der Mähne. Sie zog so fest sie konnte daran.
»Tu das nicht!«, schrie Della, und obwohl Kylie ihre Freundin nicht sehen konnte, nahm sie an, dass sie gemeint war. Und gerade als Kylie auf sie hören und loslassen wollte, stellte sich der riesige Löwe auf die Hinterpfoten und zog Kylie mit in die Höhe. Mit beiden Händen klammerte sie sich in der hellbraunen Mähne des Tieres fest, und ihre Füße schwebten plötzlich in der Luft. Das Ungeheuer öffnete den Mund, Blut tropfte von seinen Zähnen, und sein zorniges Brüllen war nicht von dieser Welt. Die wütenden Katzenaugen fixierten Kylie. Sie sah, wie die Augenfarbe von Gold zu Lila wechselte. Kylie war sich ziemlich sicher, dass es Perry war.
»Lass mich runter und hört auf zu kämpfen!«, schrie sie ihn an.
In dem Moment rammte der andere Löwe Perry mit voller Wucht in die Flanke. Der Schlag warf Perry zurück und Kylie hätte fast ihren Halt in der Mähne verloren. Sie schaute nach unten, es waren gut zwei Meter. Ein Sturz wäre auf jeden Fall schmerzhaft, vielleicht würde sie sich was brechen, aber sie würde es schon überleben. Jedenfalls würde sie ein Sturz auch in die Reichweite von Kevins schlagenden Tatzen und schnappenden Kiefern bringen. Das zu überleben wäre schon etwas schwieriger, also verstärkte sie den Griff in der Mähne und hielt sich mit aller Kraft fest.
Perry fing an, den Kopf zu schütteln, als wollte er sie loswerden. Er schwang sie von rechts nach links, wie ein wütendes Kind ein ungeliebtes Kuscheltier. Kylies Finger verloren langsam den Halt. Sie schaute noch einmal nach unten und versuchte, sich einen Fluchtweg zu suchen, aber sie wurde davon abgelenkt, als Kevins Kiefer sich in Perrys weichen Löwenbauch grub. Sie hielt sich gut fest und hob den Fuß, um den angreifenden Löwen ins Auge zu treten, damit er Perry nicht tötete. Kevin ließ los, aber Kylie sah, wie Blut aus seinem Mund tropfte.
Perry brüllte laut auf – ob vor Schmerz oder Wut, konnte Kylie nicht erkennen. Vielleicht beides.
Kylie hörte, wie Della ihr etwas zurief. Als Nächstes spürte sie, wie ihre Freundin an ihr vorbeischoss, im Versuch sie zu retten.
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