Shadow Falls Camp - Erwacht im Morgengrauen: Band 2 (German Edition)
Miranda streckte ihren kleinen Finger in die Luft.
»Ich hab dich gewarnt, deinen verdammten Finger nie wieder auf mich zu richten.« Della sprang auf und fing an rumzuschreien, dass alle Hexen verdammt sein und in der Hölle schmoren sollten.
Kylie saß nur da und hörte zu, wie sich die beiden die Beleidigungen um die Ohren hauten. Genervt und mit ihrer Geduld am Ende stand sie schließlich auf, nahm ihre Sportschuhe und ging nach draußen. Auf der Veranda blieb sie stehen, um sich die Schuhe anzuziehen.
Sie setzte sich auf den Boden und steckte den rechten Fuß in den Schuh. Ihre Zehen fühlten sich gequetscht an, deshalb lockerte sie die Schnürsenkel etwas, bevor sie die Schuhe band. War den beiden überhaupt aufgefallen, dass sie den Raum verlassen hatte? Da spürte sie, dass sie nicht nur am Ende ihrer Geduld und genervt war. Sie war auch verletzt.
Hatten sie denn nicht gemerkt, wie sehr Kylie sie gerade brauchte? Sie ließ sich beim Schuhebinden extra viel Zeit, in der Hoffnung, dass sie es sich anders überlegen würden.
Dass ihnen auffallen würde, wie viel ihnen die Freundschaft bedeutete und dass sie Kylie vertrauten.
Der rechte Schuh war gebunden. Kylie schlüpfte in den linken und begann mit dem Binden. Drinnen schrien sich die beiden immer noch an. Ihnen war Kylies Verschwinden anscheinend noch nicht aufgefallen. Oder vielleicht war es das doch und es war ihnen einfach egal. Das tat wirklich weh.
Wenn einer von ihnen Kylie um Hilfe gebeten hätte, wäre sie für sie da gewesen. Sie stand auf und realisierte, dass sie immer noch ihr Schlafshirt über der Jeans und keinen BH drunter anhatte, aber es war ihr egal. Sie sprang von der Veranda.
Im Laufschritt machte sie sich auf den Weg den Pfad entlang. Sie war sich nicht einmal sicher, wie man zum Wasserfall gelangte. Aber irgendwie wusste sie, dass sie ihn schon finden würde. Sie würde das schaffen. Und sie würde es allein schaffen.
Am Waldrand hielt Kylie an und überlegte, welchen Weg sie einschlagen sollte. Ihr fiel wieder ein, dass sie das Rauschen des Wasserfalls bei dem Felsen gehört hatte, zu dem sie Derek am Anfang mal geführt hatte. Bei den Dinosaurierspuren an dem kleinen Fluss hatte man das Wasser auch gehört. Somit musste der Wasserfall irgendwo dazwischen liegen. Sie schlug den entsprechenden Pfad ein. Nach nur ein paar Schritten unter dem dichten Blätterdach fand sie sich plötzlich in dichtem, weißgrauem Nebel wieder. Sie konnte die Feuchtigkeit auf dem Gesicht spüren.
Der anbrechende Tag hatte die Kühle der Nacht vertrieben, die sich im Wald als Nebel verfangen hatte. Die Nebelschwaden klebten an den Bäumen und waberten unterhalb der Baumkronen. Eine dunkle Vorahnung beschlich sie, aber sie ignorierte das Gefühl. Sie musste schon ziemlich paranoid sein. Kylie ging weiter. Ging schneller.
Etwa fünfhundert Meter weiter verließ sie den befestigten Pfad, in der Hoffnung, die Wasserfälle würden sie rufen – wie sie es vorher schon einmal getan hatten. Sie lauschte und lief dann weiter. Kein Wasserfall. Nur das leise Geräusch ihrer Schritte auf dem weichen Waldboden und die normalen Geräusche des Waldes.
Sie bewegte sich weiter auf Trampelpfaden und wenn sie keinen fand, bahnte sie sich einen. Dornen blieben immer wieder an ihrer Jeans hängen, als versuchten sie, ihren Lauf aufzuhalten. Aber sie wurde nicht langsamer. Ab und zu tauchte ein niedrig hängender Ast wie aus dem Nichts auf, aber sie duckte sich entweder darunter durch oder fegte ihn mit dem Arm beiseite.
Kylie dachte daran, wie sie am Anfang mal mit Della einen ähnlichen Pfad entlang gegangen war. Damals hatte sie kaum mit Della Schritt halten können. Das wäre jetzt anders. Sie hielt mühelos ihr Tempo.
Ihr kam wieder der Gedanke, dass sich alles veränderte. Sie fühlte es in ihren eigenen Bewegungen, ihrer Geschwindigkeit; sie fühlte es, wenn sich ihre Lungen mit Luft vollpumpten. Was würde sich noch verändern?
Das ist jetzt nicht wichtig, sagte sie sich. Alles, was zählte, war die Nachricht des Geistes zu entschlüsseln. Das Leben eines Menschen zu retten, hatte jetzt Priorität. Danach konnte sie sich wieder um sich selbst Gedanken machen.
Sie blinzelte und wischte sich einen tiefhängenden Zweig aus dem Gesicht. Ein lautes Knacken folgte, und sie hätte schwören können, dass ein großer Ast gebrochen war. Je tiefer sie in den Wald hineinlief, desto dichter wurde das Unterholz, dennoch steigerte sie das Tempo. Je schneller sie
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