Shadow Falls Camp - Geboren um Mitternacht: Band 1 (German Edition)
keine hektischen Bewegungen.«
Kylies Herz schlug gegen ihren Brustkorb, als sie den Soldaten neben dem Tisch stehen sah. Aber es war nicht sein Anblick, der sie so ins Stocken brachte, sondern die Tatsache, dass er mit ihr redete.
Sie holte tief Luft. Als sie ausatmete, bildete sich eine kleine weiße Wolke.
Sie spürte, wie sie Gänsehaut bekam, und schlang die Arme um den Oberkörper, um sich vor der Kälte zu schützen. »Der Löwe ist nicht echt«, brachte sie hervor. »Das ist Perry. Er ist ein Gestaltwandler.«
Der Soldat blutete diesmal nicht. Aber die Erinnerung an den Traum, daran, wie sie ihn auf dem schmutzigen Boden zusammengekrümmt hatte sterben sehen, kam schmerzhaft zurück. Sie hatte Mitleid mit ihm. Jetzt, wo er mit ihr sprach, sagte er ihr vielleicht seinen Namen? Es kam ihr seltsam vor, ihn immer nur als Soldaten zu bezeichnen. Sie hatte das Gefühl, dass er mehr Respekt verdiente.
»Doch, er ist echt, Kylie«, warnte er, während der Löwe erneut brüllte.
Sie angelte sich den anderen Schuh und schleuderte ihn auf Perry.
»Kylie, hör mir zu.« Die Stimme des Geistes wurde lauter und bestimmter. »Das ist nicht Perry. Er ist echt. Und er ist gefährlich. Du darfst ihn nicht provozieren. Geh zur Tür und lauf weg. Jetzt.«
Seine Worte drangen langsam zu ihr durch, und sie schaute sich den Löwen genauer an.
Den Löwen, der sich nicht unter Funkenregen in eine menschliche Form zurückverwandelte.
Den Löwen, der jetzt aufstand und vom Bett hinuntersprang.
Den Löwen, der sich vor die Tür schob und verhinderte, dass sie fliehen konnte.
Den Löwen, der nervös auf und ab lief und sie dabei betrachtete, als würde er überlegen, wie er sie am besten verspeisen könnte.
Kylie konnte den Blick nicht von dem Löwen abwenden, aber sie sprach mit dem Geist. »Okay, das mit der Tür hat schon mal nicht geklappt. Hast du eine andere Idee?«
»Bleib ruhig.« Seine Worte wurden von einem Brüllen des Raubtieres begleitet – und es klang wütend. Hungrig.
»Das ist ein bisschen schwierig.« Sie zitterte jetzt nicht mehr nur vor Kälte, sondern auch beim Gedanken daran, wie die Zähne des Löwen ihren Brustkorb zerfetzen würden.
»Er wartet nur darauf, dass du wegrennst. Wenn du ruhig bleibst, wird er uns etwas Zeit geben.«
»Zeit wofür?«, fragte sie. Der Löwe legte sich auf den Boden und fing an, seine Pfoten zu lecken. Machte er sich etwa schon fürs Abendessen sauber?
»Zeit, sich etwas anderes einfallen zu lassen«, antwortete er.
Sie hörte ihre eigenen Zähne klappern und schielte zu dem Geist hinüber. »Kannst du ihn … nicht verschwinden lassen?«
»Wenn ich das könnte, wäre er längst weg.« Seine Stimme klang ehrlich und dadurch noch tiefer. Trotz ihrer Panik kam ihr wieder irgendetwas an dem Geist vertraut vor. Als ob sie ihn kannte oder vielleicht, als sollte sie ihn kennen.
»Wie heißt du?« Sie versuchte, das Zittern zu unterdrücken, es gelang ihr aber nicht.
»Daniel Brighten«, sagte er.
Sie spielte mit dem Namen im Kopf und suchte nach einer Verbindung. Aber es machte nicht klick. Sie blinzelte und schaute wieder in seine blauen Augen. Eine blonde Strähne fiel ihm über die Augenbraue. »Warum?«, fragte sie. »Warum folgst du mir überallhin? Geht es darum, wie du gestorben bist?«
»Nein«, entgegnete er. »Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich keine Wahl hatte.«
Warum wollte er, dass sie das wusste? Kylies Blick schnellte alle paar Sekunden von ihm zum Löwen und zurück. »Soll ich es jemandem erzählen? Wurdest du beschuldigt, der Frau etwas angetan zu haben?«
»Nein.«
Der Löwe stand wieder auf, und Kylies Atem stockte. Sie sah sich nach etwas um, womit sie sich verteidigen konnte.
»Tu das nicht«, sagte der Geist.
»Was soll ich nicht tun?«
»Nimm nicht den Stuhl.«
Sie schaute ihn an. »Kannst du meine Gedanken lesen?«
»Nein, aber du hast den Stuhl angesehen.«
»Ich habe Angst«, gestand sie.
»Ich weiß, aber wenn du den Stuhl nimmst, fühlt sich der Löwe vielleicht bedroht.«
»Naja, ich fühle mich ja auch bedroht. Das Vieh sollte nebenan im Tierpark sein, und nicht in meinem Schlafzimmer.« Kylie erinnerte sich plötzlich daran, dass Della gesagt hatte, die Tiere würden wütend klingen. War der Löwe etwa wütend auf sie? »Wie ist der überhaupt hier reingekommen?«
»Keine Ahnung, aber lass uns später darüber nachdenken.«
Ein tiefes Grollen ertönte aus der Brust des Löwen. Kylie war sich nicht sicher, ob es ein
Weitere Kostenlose Bücher