Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
Nebentischen. Drei riesige Messingkronleuchter brannten und erfüllten den Raum mit Licht.
Ein Herr, der eine Brille und einen Arztkittel trug, löste sich aus der Gruppe und kam auf Elena und Lord Black zu. Seine Miene war offen und herzlich.
»Meine Herren, bitte heißen Sie zusammen mit mir den jüngsten finanziellen Gönner unserer Gesellschaft willkommen: Lord Black. Wie froh wir sind, Sie und Ihren Begleiter, Mr Flowers, bei uns zu haben.«
Elena berührte die Krempe ihres Huts, behielt ihn jedoch auf dem Kopf und verneigte sich kurz.
»Vielen Dank, Dr. Alcott«, sagte Lord Black.
Der Mann lächelte und drehte sich um, um das Wort an die Versammlung zu richten. »Jetzt, da unsere speziellen Gäste eingetroffen sind, können wir fortfahren.«
Der bärtige Herr, der sie hereingelassen hatte, berührte Elena am Ellbogen und drängte sie mit einem sanften Stoß auf die Mitte des Raums zu.
»Sie müssen beide näher herangehen, um besser sehen zu können.«
Zu ihrem Erstaunen traten alle auseinander, um ihnen den Blick auf das freizugeben, was auf einem Metalltisch in der Mitte des Zimmers lag. Unter einem glänzenden, weißen Laken zeichneten sich die unverkennbaren Umrisse einer Leiche ab.
Elena schaute Archer an. Er blickte geradeaus, ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Tränen machten ihre Augen glasig, aber sie blinzelte sie schnell weg.
Dr. Alcott sagte: »Der menschliche Körper ist etwas Fantastisches und Geheimnisvolles, und als Ärzte, Medizinstudenten und Männer von Bildung wissen wir alle, wie selten man Gelegenheit hat, den menschlichen Körper zu sezieren. In seiner vollständigsten Form, mit Muße und einfach, um in den Genuss von Weiterbildung zu kommen.«
»Jawohl! Jawohl!«, erklang es überall im Raum.
»Sir James, der erst heute Morgen verschieden ist, hat bestimmt, dass seine Leiche zu diesem speziellen Zweck der Gesellschaft gespendet wurde. Ich hoffe, Sie werden das gleiche großzügige Opfer bringen, wenn Sie Ihre eigenen letzten Entscheidungen treffen werden.«
»Gott segne Sir James«, brüllte ein Gentleman weiter hinten, bevor er sich in ein Taschentuch schnäuzte.
Dr. Alcott positionierte sich neben der Leiche. »Lassen Sie uns beginnen.«
Mehrere andere Männer in Kitteln nahmen die Plätze neben ihm ein, bereit zu assistieren. Der Arzt zog das Laken zurück und griff nach einem glänzenden Skalpell.
Archer konnte Elenas Reaktion unter der breiten Krempe ihres Huts nicht sehen, aber von hinten, wo niemand es beobachten konnte, ergriff sie die Manschette seines Ärmels und schob sich näher heran.
Sie sprachen nicht, als sie zusammen mit den anderen Zuschauern der Autopsie die Treppe hinuntergingen. Stumm zerstreute sich die Gruppe in die Dunkelheit der Nacht.
Gaslaternen säumten die Allee und zischten leise, als sie vorbeigingen. Sie konnte noch immer nicht begreifen, was gerade geschehen war. Ihr seltsamer Vormund hatte sie in Männerkleidung gesteckt, sie in die dunkle Londoner Nacht hinausgebracht und ihr dann etwas geschenkt. Und dieses Geschenk war ihrem Herzen so teuer, dass sie nicht umhinkonnte zu fühlen, dass sie sich während dieser wenigen kurzen Stunden unendlich viel nähergekommen waren – Stunden, in denen sie nicht einmal miteinander gesprochen hatten. Sie hatten nur nebeneinander gestanden und die Autopsie eines toten Mannes beobachtet. Bizarrerweise fand sie die Geste quälend romantisch.
»Möchten Sie ins Hospital zurückkehren?«, fragte Archer leise.
Nein, möchte ich nicht. Ich möchte bei dir bleiben.
Sie nickte. »Ja. Ins Hospital.«
»Ich werde Sie dorthin bringen.« Er deutete mit ihrer Tasche in Richtung der Allee.
»Danke.«
Der Stoff der Hosen an ihrem Körper fühlte sich fremdartig und sinnlich an, obwohl sie darunter ihre wollene, mit Litzen besetzte Unterwäsche trug. Die Vorstellung, dass er Männerkleidungsstücke für sie aussuchte, war beinahe so verboten, als hätte er ein Stück durchsichtiger Wäsche für sie gekauft.
Die Gruppe von Ärzten, die ihnen voran über den Gehweg gingen, sicherte sich die letzte verfügbare Droschke, die am Straßenrand parkte. Sie kletterten hinein, und der Wagen setzte sich klappernd in Bewegung.
Sie standen für einen Moment da und suchten die Allee nach einer anderen Kutsche ab. Archer schaute auf seine Armbanduhr. »Es ist noch nicht Mitternacht. Nehmen wir den Zug.«
Sie gingen ein kurzes Stück, bevor sie zum Eingang des Bahnhofs mit seinen steinernen Bögen kamen. Dort
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