Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
selbst genommen worden war. Kein Wunder, dass sie unter schlimmen Träumen litt. Unter nicht endenden Schamgefühlen. Unter der Erniedrigung. Becca konnte sich nicht vorstellen, dass das Leben eines jungen Menschen durch eine derartige Grausamkeit keinen dauerhaften Schaden nahm. Jede neue Enthüllung brachte Sonjas tragische Erlebnisse näher an sie heran. Unter der drückenden Last dieses Geständnisses bekam Becca nur noch mit Mühe Luft.
Danielle musste ebenso gelitten haben, nur hatte ihr Leid damit geendet, dass ihr ein quälender, gewaltsamer Tod bereitet worden war. Überwältigende Trauer stieg in Becca auf und raubte ihr die letzte Luft. Sie kämpfte gegen den Drang zu weinen an und konzentrierte sich weiter auf den Fall. Auf das Hier und Jetzt. Auf die junge Frau, mit der sie sprach.
Sie räusperte sich leise und verdrängte ihre eigenen Seelenqualen, denn sonst hätte sie ganz sicher nicht mehr funktioniert.
»Wo war Isabel, während all das geschah? Haben sie dasselbe auch mit ihr gemacht?« Sie fühlte sich zerbrechlich und war sich nicht sicher, ob sie Sonjas Antwort auf die Frage überhaupt hören wollte. So viele ruinierte Leben. Kein Wunder, dass Diego sein Leben riskierte, um einen Mann wie Cavanaugh daran zu hindern, dass er weiter derart fürchterliche Dinge tat.
»Später habe ich herausgefunden, dass Isabel mich einfach dort gelassen hat.« Sonja brach in Tränen aus, und bei jeder schrecklichen Erinnerung huschte ein Schatten über ihr Gesicht. »Eine wirklich tolle Freundin, finden Sie nicht auch? Deshalb hatten wir danach nicht mehr viel miteinander zu tun. Diese Sache habe ich ihr nie verziehen. Diese eine Nacht hat den Rest meines Lebens ruiniert. Gott, ich hatte solche Angst, dass Isabel weitererzählen würde, was geschehen war.«
Wieder rutschte sie auf ihrem Sitz herum und sah Becca fragend an. »Wissen Sie, was für ein Gefühl es ist, jeden Tag in Angst zu leben? Zu denken, dass die anderen einem ansehen, was passiert ist, als wäre es einem auf die Stirn geschrieben oder so. Immer, wenn mich jemand von der Seite angesehen hat, dachte ich, er weiß Bescheid. Ich habe in der ständigen Angst gelebt, dass mich Isabel verrät, deshalb habe ich nichts gesagt.«
»Sie haben diese Sache nie der Polizei gemeldet? Sie hätten Anzeige erstatten können.« Becca kannte die Antwort bereits, bevor Sonja sie ihr gab.
»Leute wie ich reden nicht mit den Bullen, Lady. Anzeige erstatten? Nie im Leben.« Sonja zupfte an der zerrissenen Polsterung des Türrahmens herum, als sie weitersprach, klang ihre Stimme schwach. »Als Isabel verschwand, dachte ich, dass ich die Nächste wäre. Deshalb habe ich mich versteckt und mit niemandem geredet. Aber nach einer Weile …«
»Was, Sonja? Erzählen Sie es mir.«
Eine neue Träne rollte über ihre Wange. »Es war eine Erleichterung, dass sie verschwunden war. Denn dadurch war auch mein Geheimnis aus der Welt. Ich brauchte mir keine Sorgen mehr zu machen.« Im bleichen Licht des Mondes glitzerten Tränen der Bitterkeit in ihrem Gesicht. »Ich konnte es Ihnen vorher nicht erzählen. Dafür habe ich mich zu sehr geschämt. Deshalb habe ich gelogen. Bitte seien Sie mir deshalb nicht böse, nein?«
Ein Teil von Becca hatte eine Schwäche für die junge Frau, nur war es einfach so, dass sie vorher schon von ihr belogen worden war. Weshalb also sollte diese Version die Wahrheit sein?
»Ich habe einen Zeugen dafür, dass Sie mit Isabel an dem Theater waren, als sie sich mit ihrem Bruder Rudy gestritten hat. Erzählen Sie mir davon.«
Sonja kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, als könne sie sich an diesen Zwischenfall nicht mehr erinnern. »Ich weiß nicht …« Dann aber blitzte mit einem Mal etwas in ihren Augen auf. »Gott, das ist so lange her. Ja, ich kann mich daran erinnern, dass sie zu diesem alten Theater wollte, um ihren Bruder von der Arbeit abzuholen. Sie hatten einen typischen Bruder-Schwester-Streit, nach dem er abgehauen ist. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Wir wollten noch in eine Disco, deshalb sind wir einfach gegangen. Es war keine große Sache.«
»Worüber haben die beiden gestritten? Erinnern Sie sich noch?«
Sonja zog eine Grimasse und schüttelte abermals den Kopf. »Nein, außer dass es etwas damit zu tun hatte, dass er mit seiner Arbeit die Familie ernährt und dass sie ihn gedrängt hat, sich ein bisschen zu beeilen, damit sie endlich mit mir Party machen kann. Schätze, es hat ihm nicht unbedingt gefallen,
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