Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
in die kalte Realität zurückgekehrt.
Bis Diego bei ihr erschienen war, hatte sie den Nachmittag mit der Suche nach Vater Victor Marquez zugebracht. Bei einem Besuch im Heim seiner Familie hatte sie nur seine Mutter angetroffen, die ihr keine große Hilfe gewesen war. Die Frau sprach nicht einmal genügend Englisch, um Beccas Frage nach dem Verbleib des Priesters zu verstehen. Keiner der beiden Brüder war zu Hause gewesen, und auch Rudys roter Truck hatte nicht vor der Tür geparkt. Seit sie ihre Ermittlungen in eine andere Richtung hatte lenken müssen, hatte sich der Fall verselbstständigt. Sonja hatte als Nächste auf ihrer Liste der Gesprächspartner gestanden. Sie hatte den Streit zwischen Rudy und Isabel kurz vor dem Verschwinden des Mädchens miterlebt. Becca musste sie dazu bewegen, dass sie ihr einen genaueren Bericht von Isabels letzten Stunden gab. Doch beim Klang von Sonjas Stimme zog sich alles in ihr zusammen. Was in aller Welt war jetzt schon wieder los?
»Ich w-will … ich m-muss Ihnen etwas sagen«, schluchzte die junge Frau.
»Beruhigen Sie sich, Sonja. Ich kann Sie kaum verstehen.« Becca setzte sich auf die Kante ihres Bettes, presste das Handy an ein Ohr und hielt sich das andere mit einem Finger zu. »Was müssen Sie mir sagen?«
»Nicht am Telefon … bitte. Da würden Sie mich nicht verstehen«, stieß Sonja weinend aus. »Können Sie mich treffen?«
Sonja hatte sich überwunden und sie kontaktiert. Was normalerweise sicherlich ein gutes Zeichen war. Aber irgendetwas stimmte an der Sache nicht. Das sagte Becca ihr Instinkt.
Trotz ihres Unbehagens hatte sie keine andere Wahl, als sich anzuhören, was dem Mädchen auf der Seele lag.
»Ja. Sagen Sie mir nur, wann und wo.« Becca hörte zu, sah abermals auf ihre Uhr und dachte: Hoffentlich kommst du wirklich spät, mein Lieber. Mich ruft nämlich ebenfalls noch einmal die Pflicht.
Das Cavanaughsche Anwesen
20.00 Uhr
In seinem eleganten Anzug von Armani trat Diego vor einen Flurspiegel und rückte seine Krawatte zurecht. Er wusste, sein äußeres Erscheinungsbild war unverändert, innerlich jedoch war er ein völlig anderer als noch vor ein paar Stunden. Mühsam unterdrückte er das Lächeln, das aus der Tiefe seiner Seele stieg. Rebeccas Einfluss, dachte er und hoffte, dieses Glücksgefühl wäre von Dauer.
Doch eine düstere Gestalt trübte sein neu gefundenes Glück, eine Gestalt mit Namen Hunter Cavanaugh. Er atmete tief durch, erinnerte sich daran, dass die Limousine wartete, wandte sich vom Spiegel ab und trat auf die prachtvolle Treppe zu.
Vielleicht wäre heute Nacht alles vorbei.
Am Kopf der Treppe tastete er nach dem Griff des Colt Kaliber 45, den er wie stets in seinem Rückenhalfter bei sich trug, und nach dem Messer, das an seinem Bein befestigt war. Alte Gewohnheiten starben eben nie. Er knöpfte seine Anzugjacke zu und ging gedankenversunken ins Foyer hinunter.
Vielleicht hatte Cavanaugh ja gar keine Hintergedanken mit der Einladung verknüpft. Vielleicht ging es ihm ja wirklich nur um einen Vorschlag für ein gemeinsames Geschäft, vielleicht würde er ihm dabei alles erzählen, was er brauchte, um seinen widerlichen, arroganten Hintern festzunageln. Ein Kerl wie Cavanaugh hatte Fairness einfach nicht verdient. Liefe es so ab, verschwände vielleicht sogar, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, der ständig schlecht gelaunte Ausdruck aus Drapers Gesicht. Vielleicht fände der arrogante Fed es dann sogar angemessen, die Anklage gegen seinen Vater Joe Rivera fallen zu lassen, und Diego könnte endlich wieder leben.
Die Hoffnung, dass ihm ein normales Leben möglich war, hatte Rebecca heute Nachmittag in ihm geweckt.
Falls die verschwundenen Mädchen noch am Leben waren, würde ihm Cavanaugh vielleicht verraten, wo er sie verborgen hielt. Vielleicht könnten sie sie dann noch aus der Hölle retten, in der dieser Bastard sie gefangen hielt. Nachdem Rebecca ihm von ihrer Schwester berichtet hatte, hatte Diego jedem der Mädchen ein Gesicht gegeben, auch Danielle. Er hatte Draper gezwungen, ihm die Akten und die Fotos auszuhändigen, hatte sie gründlich studiert und sich sämtliche Gesichter eingeprägt. Vor seinem geistigen Auge sah er die Mädchen, wie sie gewesen waren, bevor der lange Arm eines Mädchenschänders sie des Geldes wegen gestohlen hatte, das sich mit den verderbten Schwächen anderer verdienen ließ. Für ihn waren diese Mädchen keine weißen Leinwände mehr. Jedes Mädchen hatte einen Namen,
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