Shadowblade 02 - Schwarzes Feuer
»mache ich dir ein Geschenk.«
Stirnrunzelnd trat sie einen Schritt zurück. Nach ihren bisherigen Erfahrungen war sie nicht wild darauf, Geschenke zu kriegen – insbesondere nicht von Wesen wie Scooter. Er lächelte. Es war das erste Mal, dass sie einen solchen Ausdruck auf seinem Gesicht sah, und es verstörte sie. Sie fühlte sich wie eine Fliege, die von der Spinne ins Netz gebeten wurde. Nachdem sie sich bereits selbst dazu beglückwünscht hatte, ihn in der Hand zu haben, zeigte sich nun, dass er nicht kampflos aufgeben würde.
Sie behielt ihn genau im Auge und bereitete sich angespannt darauf vor, auszuweichen. Doch er rührte sich nicht. Stattdessen leuchteten die funkelnden Kristalle an Decke und Wänden plötzlich hell auf und sandten tanzende bunte Lichtpunkte durch den Raum und über den Boden. Die Punkte wirbelten herum und verdichteten sich zu einer Art Diskokugel. Bevor Max sich von der Stelle rühren konnte, stürzte die Kugel sich auf sie und umschloss ihren linken Arm.
Der leuchtende Ball zog sich zu einem engen, festen Handschuh zusammen, der sich bleischwer anfühlte. Er loderte blau auf und wurde dann unsichtbar, doch das schwere, eingeschnürte Gefühl blieb. Sie rieb sich den Arm und spürte nichts. »Besteht die Chance, dass du mir verrätst, was das ist?«, fragte sie. »Oder darf ich das allein rausfinden?« Und das würde dann höchstwahrscheinlich im ungünstigsten Moment passieren.
»Du hast bereits die Macht, das Netz zu bereisen. Das macht dich so besonders für mich. Wenn du dich in Lebensgefahr befindest, wirst du nun auch dazu fähig sein, durch das Netz hindurch an einen anderen Ort zu treten. Nicht weit weg. Vielleicht nur ein paar Meter.«
Max überlegte einen Moment lang. »Dann sollte ich mich wohl bedanken.« Sie vermutete, dass es ganz und gar nicht angenehm sein würde, diesen Zauber einzusetzen, und Scooters leises Lächeln verriet ihr, dass sie recht hatte. Er schaute sie bloß weiter an, als wartete er auf etwas. Max trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich sollte los. Je schneller ich meine Familie hole, desto eher bin ich wieder bei dir.«
»Da ist noch etwas, das du vielleicht sehen möchtest.«
Üble Vorahnungen befielen sie. Sie zog eine finstere Miene, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Sein Gesicht war nun völlig ausdruckslos, mit Ausnahme seiner Augen, in denen ein wütendes Feuer glomm. Max stellten sich die Nackenhaare auf. Was auch immer er ihr zeigen wollte, es fühlte sich nach einer Falle an.
»Wenn du mir etwas zeigen willst, dann tu es. Ich habe keine Zeit für Spielchen.«
»Du hast sogar noch weniger Zeit, als du glaubst.« Er lächelte erneut, was ganz und gar kein angenehmer Anblick war.
Dann machte er eine Handbewegung, und Finsternis senkte sich über den Raum. Nur von den Kristallen an der gegenüberliegenden Wand ging noch Licht aus. Über sie schob sich das Bild einer ländlichen Ortschaft aus der Vogelperspektive. Im Osten war der Freeway als breiter, schwarzer Streifen auszumachen, und im Westen erhob sich steiles Hügelland. Hinter einem Staudamm befand sich ein langgezogener See, umgeben von einem schmalen Streifen aus Bäumen und kahlen Hügelkämmen. Inmitten all dessen lag die Ortschaft, umrahmt von einem Schachbrettmuster aus Obstgärten und Feldern. Max’ Mund wurde trocken. Das war die Stadt Winters. Ihr Blick heftete sich auf den fingerförmigen grünen Fleck, bei dem es sich um den Obstgarten ihres Bruders handelte.
»Warum zeigst du mir das?«, krächzte sie mit zugeschnürter Kehle.
»Sieh hin.«
Er stellte sich hinter sie und strich ihr mit den Händen sanft über Schultern und Arme. Sie spürte die Wärme seines Brustkorbs im Rücken. Max wusste nicht, ob er sie trösten oder ob er verhindern wollte, dass sie sich abwandte. Als ob sie das gekonnt hätte. Sie war wie festgenagelt.
»Da kommen sie«, murmelte er an ihrem Ohr.
Zuerst konnte sie nichts erkennen. Dann wurden auf den Feldern um den Obstgarten herum lose Erdhaufen wie riesige Maulwurfshügel aufgeworfen. Tiere und menschenähnliche Gestalten krabbelten daraus hervor. Sie waren geschmeidig und bewegten sich mit übernatürlicher Eleganz. Ihre Augen leuchteten wie Edelsteine, und sie suchten die Umgebung mit ihren Blicken ab wie hungrige Wölfe. Es waren Hunderte. Hinter ihnen stiegen weiße, tief hängende Rauchschwaden auf, die sich über den Boden schlängelten und die Ortschaft und die umliegenden Felder schließlich in einer dichten Nebelwand
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