Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
Dringlichkeit.
Gefahr.
Mit einem Mahl kehrten die vertrockneten Blütenblätter zurück aus dem Nirgendwo jenseits der Vernunft. Sie rollten sich ein, flatterten umher und ballten sich um den unveränderlichen Kern, der alles war, was von derjenigen, die hatte passieren wollen, geblieben war.
Max.
Die Eine hatte einen Namen.
Mehr Stückchen ihres Ichs kehrten zurück, dockten an und setzten sich wie ein Puzzle zusammen. Mit jedem davon kehrte eine Erinnerung, ein Gefühl, ein Geschmack wieder. Langsam erstand sie aus ihren Trümmern, bis sie sich, auf dem Boden liegend, in der Höhle wiederfand. Sie setzte sich auf. Es ging ihr gut – keine Schmerzen, keine Schwäche. Sie rollte sich vorwärts und kam auf die Füße. Hinter ihr befand sich der Durchgang. Vor ihr lag eine Tür.
Ihre Umgebung war erfüllt von dem Gefühl, dass etwas wartete und sie beobachtete.
»Hallo?«
Du bist diejenige, von der es hieß, dass sie kommen würde. Die, deren Herz ich nicht brechen konnte.
Die Stimme hallte durch Max’ ganzen Körper. Es fühlte sich an, als stünde sie mitten auf einer Autorennbahn, während um sie herum die Motoren dröhnten. Sie taumelte und stützte sich an der Wand ab.
»Du lässt mich nach Horngate durch?«
Jederzeit.
Die Selbstgefälligkeit und die zärtliche Wärme der Stimme ließen Max aufmerken. »Wer bist du?«
»Ich habe keinen Namen. Ich bin das Kind von Omniont, der Gehörnten Schlange, und Nihansan, des Netzspinners. Ich wache. Ich warte auf dich. Du bist mein Geschenk.«
Max’ Mund wurde trocken. »Dein Geschenk?«, wiederholte sie und hoffte, sich verhört zu haben.
»Auf dieser Welt kannst nur du meinen Kräften widerstehen. Nur du kannst durch meine Netze wandeln und überleben. Du bist die, auf die ich gewartet habe. Es hat so lange gedauert.«
Als Max die Sehnsucht in der Stimme des Wesens hörte, hätte sie am liebsten aus Mitgefühl geweint, während sich gleichzeitig die knochigen Finger der Angst um ihr Herz schlossen.
»Was willst du von mir?«, fragte sie wachsam. Sie wollte es nicht erzürnen. Sie wusste nicht, ob sie eine weitere Runde gegen seine Netze überleben würde.
»Dich.«
»Mich?«
»Ja. Du wirst zu mir kommen. Du wirst mit mir auf den Netzpfaden wandeln. Du wirst die Wahrheit zu mir sprechen, und du wirst dein Feuer mit mir teilen.«
Max schluckte. Sie hatte keine Ahnung, was all das bedeuten sollte. Was hatte Giselle diesem Geschöpf versprochen? Nicht, dass das eine Rolle gespielt hätte. Im Moment musste sie die anderen holen und nach Horngate hineingelangen.
»Klar, ähm, Scooter, wenn es dir dann besser geht«, sagte sie, ohne zu wissen, ob sie gerade eingewilligt hatte, seine Kinder auszutragen. »Ich habe Freunde, die ich hier durchbringen muss. Erlaubst du ihnen, den Gang zu passieren?«
»Ja. Für dich.«
Vor Max entstand ein magisches Netz. Während sie zusah, nahm es eine vage menschenähnliche Gestalt an. Das Gewebe straffte sich und wurde dichter, die Gestalt trat deutlicher hervor. Und in einem Moment, der nicht länger dauerte als ein Lidschlag, loderte das milchig blaue Licht glühend hell auf. Als das Strahlen verblasste, stand ein Mann vor Max. Er war weder jung noch alt. Seine Haut war von der Farbe roten Mahagonis, sein Haar war lang und blauschwarz. Seine Gesichtszüge waren scharf geschnitten wie vom Wind in den Stein gegrabene Rillen. Er war wunderschön. Und nackt. Max ließ den Blick an seinem muskulösen Körper hinabwandern. Vielleicht wäre es gar nicht so übel, seine Kinder auszutragen.
»Du solltest dir vielleicht ein bisschen was anziehen, Scooter«, riet sie ihm und fragte sich dabei, ob das seine natürliche Gestalt war. Höchstwahrscheinlich nicht.
Einen Augenblick später trug er eine Weste und eine Hose aus Hirschleder. Beides sah weich und abgetragen aus. Seine Füße waren nach wie vor nackt.
Ohne ein weiteres Wort führte Max ihn dorthin zurück, wo sie eingetreten war. Ihr Begleiter lief mit leisen Schritten neben ihr her. Seine Haut strahlte Hitze ab.
»Weißt du, was in Horngate vor sich geht?«
Er nickte. »Es herrscht Krieg. Giselles Krieger kämpfen. Sie können nicht gewinnen.«
»Ich bringe Hilfe«, entgegnete Max mit eiserner Stimme.
»Das spielt keine Rolle. Ihr könnt nicht gewinnen.«
Für ihn war das eine Feststellung. Man konnte sich genauso wenig mit ihm streiten wie mit einem Baum.
»Ich werde es verdammt noch mal versuchen.«
»Aber das ist nicht die Lösung.« Jetzt war sein Tonfall
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