Shadowdwellers: Magnus (German Edition)
Wahrheit herauszufinden. Wurdest du … « Sie verzog mitfühlend den Mund. »Natürlich musst du nicht darüber sprechen, wenn es dir Kummer macht, aber wurdest du beschmutzt von dem bösen Kerl, der dich angegriffen hat? Wurdest du vergewaltigt?«
Die Unverfrorenheit, mit der Nicoya eine solche Frage stellte, überraschte Daenaira, obwohl es eigentlich nicht überraschend war. Nicoya tat andern gern weh. Es war in ihren jaspisfarbenen Augen deutlich zu lesen. Es gab keinen besseren Weg, als das bereits verletzte Opfer erneut zu verletzen, indem man es an seine Vergewaltigung erinnerte und sie als »Beschmutzung« bezeichnete, so als wäre sie von dem Akt für immer gezeichnet.
»Ich würde lieber nicht darüber sprechen«, sagte Dae leise und senkte den Kopf. Sie wusste nicht, weshalb sie diese Farce der Unterwürfigkeit noch mitspielte, doch wie immer folgte sie ihrem Instinkt.
»Das ist schon in Ordnung, meine Liebe.« Nicoya wollte ihr die Hände tätscheln, doch Dae zuckte zurück.
Verdammt. Das konnte sie nicht überspielen. Sie wollte ohne Erlaubnis einfach nicht mehr angefasst werden. Und sie entschuldigte sich auch nicht für ihre Reaktion. Dae hatte ein Recht auf ihren persönlichen Bereich, und sie würde sich diesen Bereich bewahren!
»Nun, ich verstehe«, gluckste Nicoya verständnisvoll. »Gleich geht der Unterricht los, ich muss also gehen, aber du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du das Bedürfnis hast zu reden.«
»Das mache ich. Danke.« Bestimmt nicht.
Nicoya ging und sah dabei ausgesprochen selbstzufrieden aus.
Daenairas nächste Begegnung an diesem Abend war ironischerweise in der Wäschekammer. Die großen Maschinen wurden von einer Handvoll Dienerinnen und Helfern bedient, die riesige Mengen von Gewändern und Laken in schönem Dunkelviolett und Mitternachtsblau wuschen. Doch es war der unerwartete Glanz von Goldrute, Scharlach und Lavendel, der sie an den geschäftigen Ort gebracht hatte. Diese Farben hatte sie noch nirgends im Sanktuarium gesehen. Sie war natürlich noch nicht mit allem vertraut, aber eine solche Farbenpracht war ungewöhnlich in ihrer Kultur. Sie trugen dunkle Farben, um jederzeit mit der Dunkelheit verschmelzen zu können. Sie trugen Schmuck nur in den tiefsten Tiefen der Stadt, aus Angst, der Glanz würde sie verraten.
Sie folgte den farbenfrohen Stoffen in den nächsten Raum, wo sie hoffte, sie selbst berühren zu können, indem sie ihre Hilfe anbot. Dort traf sie auf Greta, und sie wusste, dass das nicht der Fall sein würde. Greta verengte sofort ihre kalten, boshaften Augen, deren schmutzig graue Farbe einen frösteln machte.
»Warum bist du hier?«, verlangte sie zu wissen. »Um es mir unter die Nase zu reiben?«
»Was?«, fragte Dae und hob eine Braue, während sie sehnsüchtig auf den lavendelfarbenen Seidenstoff blickte, den Greta aus einem Stapel zog, um ihn zu falten.
»Oh bitte. Dein schüchternes Auftreten täuscht mich nicht. Ich habe mitbekommen, wie bösartig du warst, als man dich hierher gebracht hat. Beide Wachmänner haben dank deiner Lügen zwei Nächte mit Bußübungen verbracht. Ich kann mir vorstellen, dass niemand sich fragt, weshalb du gleich zweimal an einem Tag ›fast vergewaltigt‹ worden bist. Was für ein Mist.«
»Wie bitte? Es war wohl kaum mein Fehler, dass ich angegriffen wurde.«
»Ich denke, du hast es wahrscheinlich provoziert und dann die Spuren verwischt. Ich bin sicher, dass Magnus es schon bereut, dass er sich eine kleine Hure wie dich als Dienerin ausgesucht hat. Ich muss schon sagen, du hast schnell reagiert.«
Daenaira war in ihrem Leben schon so oft beschimpft worden, dass sie nicht einmal blinzelte bei der Bemerkung. »Hab’ ich das?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht, wie du es angestellt hast!«, brach es plötzlich aus Greta heraus, und sie schleuderte den Stoff auf den Arbeitstisch. »Seit M’jan Figano gestorben ist und ich frei bin, wusste ich ganz tief in meinem Inneren, dass Magnus und ich füreinander bestimmt sind. Doch da war Karri, und ich dachte, dass ich mich getäuscht habe. Dann war sie plötzlich tot, und ich wusste es! Ich wusste, wenn ich geduldig genug bin, würde Magnus kommen und mich als seine nächste Dienerin erwählen! Ich habe mitbekommen, wie er mich angeschaut hat. Er hat Figano beneidet. Er hat in all den Jahren nicht ein einziges Mal mit Karri geschlafen, und dich wird er auch nicht anrühren«, stieß sie boshaft hervor. »Er wollte mich. Oh ja. Ich weiß es.«
Das
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