Shadowfever: Fever Saga 5 (German Edition)
hatte, stand er da, den Kopf im Nacken, die Augen geschlossen. Seine Hände lagen nicht neben dem Buch, wie ich gedacht hatte.
Er drückte die Handfläche auf die Seiten.
Wie konnte er ein Unseelie-Heiligtum berühren? Die Seiten waren hinreißend schön, jede einzelne bestand aus gehämmertem Gold, war mit Edelsteinen verziert und mit einer erstaunlich kraftvollen, dynamischen Schrift beschrieben, die sich wie Wellen über die Seiten zog. Die erste Sprache war so fließend, wie die ursprüngliche Königin statisch gewesen war.
V’lane las das Sinsar Dubh nicht.
Die Schrift verschwand von den goldenen Seiten und floss in seine Arme und den Körper. Er saugte sie auf.
»Barrons«, schrie ich, um mich über das Gebrüll und das Grunzen der Kämpfenden verständlich zu machen, »wir haben ein ernstes Problem!«
»Gut erkannt, Mac.«
51
A ls ich fünfzehn war, hatte mir Dad das Autofahren beigebracht. Mom war entsetzt, dass er mich ans Steuer ließ, aber ich schlug mich ganz wacker.
Ich erinnere mich, dass ich eine Kurve in weitem Bogen nahm und um ein Haar einen Briefkasten gestreift hätte. Ich fragte meinen Vater: Wie verhindert man, dass man von der Straße abkommt? Wir fahren ja nicht auf Schienen.
Er hatte gelacht. Furchen in der Straße, Baby. Sie sind nicht wirklich da, aber wenn du oft fährst, bekommst du allmählich ein Gespür dafür, und eine Art Autopilot übernimmt.
Im Leben ist es genauso. Eingefahrene Spuren in den Straßen. Meine war, dass V’lane zu den Guten gehörte.
Aber sei vorsichtig , hatte Jack hinzugefügt, ein Autopilot kann gefährlich sein. Ein betrunkener Fahrer könnte auf dich zukommen. Das Wichtigste ist, dass du erkennst, wann du die Fahrrillen verlassen musst.
Unentschiedenheit lähmte mich. War V’lane tatsächlich einer der Bösen? Wollte er die Feenmacht an sich reißen und herrschen? Sollte ich einschreiten? Was konnte ich tun?
Kat, Jo und die anderen Sidhe -Seherinnen kamen den anderen zu Hilfe und hämmerten ebenfalls gegen die Wand. Mom und ich schauten zu. Ich war drauf und dran, auch mitzumachen, als Mom sagte: »Wer ist der hübsche junge Mann? Er war nicht da, be …« Sie erstarrte mitten im Wort.
Wie alle in der Höhle.
Die Keltar hörten auf zu singen. Barrons und mein Daddy waren in einem Sprung eingefroren. Sogar V’lane war betroffen, aber nicht durch und durch. Die Zauber, die durch seine Arme strömten, verlangsamten sich.
Ich sah nach, wohin meine Mutter deutete. Mir stockte der Atem.
Er stand an der Tür. Nein, er war hinter mir, nein, direkt vor mir!Als er mich anlächelte, verlor ich mich in seinen Augen. Sie weiteten sich, wurden riesengroß, und Dunkelheit verschlang mich, bis ich zwischen Supernovas im freien Raum schwebte.
»Hey, schönes Mädchen«, sagte der Junge mit den verträumten Augen.
»Schmetterlingsfinger«, brachte ich heraus. »Du.«
»Der beste Chirurg«, stimmte er mir zu.
»Du hast geholfen.«
»Ich hab dir gesagt, du sollst nicht mit ihm reden. Du hast nicht auf mich gehört.«
»Ich habe überlebt.«
»Bis jetzt.«
»Es kommt noch mehr?«
»Immer.«
Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Ich wusste, wer er war. Und jetzt, da ich es wusste, konnte ich nicht glauben, dass ich das nicht schon früher erkannt hatte.
»Das hab ich nicht zugelassen, Kleines.«
»Lass es mich jetzt sehen.«
»Warum?«
»Neugier.«
»Die tötet Katzen.«
»Sie haben neun Leben«, erwiderte ich.
Er lächelte, und sein Kopf drehte sich in Unseelie-Manier. Außerdem sah ich, wie mich eine enorme Dunkelheit aus großer Höhe, die es in dieser Höhle gar nicht geben dürfte, beobachtete. Sein Kopf drehte sich nicht – er knirschte wie Stein auf Stein. Es war, als gäbe es keinen Bereich, der den ungeheuer großen König beherbergen konnte; um ihn herum zersplitterten Dimensionen, überlappten und verschoben sich. Seine Augen öffneten sich mehr und mehr, bis sie die ganze Abtei verschlangen. Ich purzelte in ihnen herum, und die Abtei taumelte neben mir.
Ich war in riesige schwarze Schwingen gehüllt und befand mich im Herz der Dunkelheit, die der König war.
Er war jenseits meines Begriffsvermögens. »Uralt« beschrieb ihn nicht annähernd, denn er wurde zudem in jedem Augenblick neu geboren. Mit Zeit konnte man ihn nicht messen. Er definierte die Zeit. Er war weder Tod noch Leben, weder Schöpfung noch Zerstörung. Er war alle Möglichkeiten und keine, alles und nichts, ein bodenloser Abgrund, der zurückblickt, wenn man
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