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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Landes zusammen! Töte alle! Brenne ihre Häuser nieder! Mach einen Acker aus der Stadt! Säe Disteln darauf! Noch in hundert Jahren sollen dem Wanderer die Waden bluten, wenn er über die Stelle geht, wo einst Athen stand!«
    Alkibiades nimmt das Gold. Aber sein Haß kühlt ein wenig ab. Daß es einen gibt, der Athen noch mehr haßt als er, das läßt Alkibiades nüchtern werden. Dennoch rückt er weiter auf die Stadt vor.
    Im Senat von Athen herrscht höchste Aufregung. Nach den Jahren der Sicherheit hat man der Verteidigung zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es gibt niemanden, der die Stadt gegen Alkibiades verteidigen könnte.
    »Das heißt«, wird auf der einen Seite überlegt, »das heißt, einen gäbe es schon.«
    »Wen? Wen?« wird auf der anderen Seite gefragt.
    »Den Lehrer.«
    »Welchen Lehrer? Werdet deutlicher, um Himmels willen!«
    »Den Lehrer von Alkibiades. Den … Timon …«
    Das ist wahr. Da gibt es keine Diskussion. Timon, wer sonst? So oft hat Timon die Stadt schon gerettet. Wenn einer die Stadt vor Alkibiades beschützen kann, dann Timon. Aber Timon ist beleidigt. Er haßt die Stadt.
    »Wir müssen Zugeständnisse machen.«
    »Wir werden Zugeständnisse machen!«
    »Seine Schulden sollen gestrichen werden.«
    »Mehr noch. So viel, wie er Schulden hat, soll er Honorar bekommen.«
    Die vornehmsten Senatoren werden ausgewählt, sie sollen in den Wald gehen und mit Timon verhandeln. Demut, aber nicht Unterwürfigkeit, so lautet die Devise. Unterwürfigkeit würde Timon durchschauen.
    Und wider Erwarten läuft die Mission gut an. Timon ist gesprächsbereit. Er schimpft nicht ein einziges Mal. Hört sich die Argumente und Wünsche der feinen Senatoren geduldig an. Er hat seinen Rappel gehabt, nun ist wieder alles in Ordnung. So sieht es aus. Gut, er ist ein wenig merkwürdig geworden hier draußen im Wald. Kann man ihm das verübeln? Er stellt merkwürdige Forderungen.
    »Ich will, daß sich die Bürger der Stadt von mir beschenken lassen.«
    »Gut. Aber …«
    Fast wäre es einem der feinen Senatoren herausgerutscht: Aber du hast doch gar nichts, was du verschenken könntest, hätte er fast gesagt.
    »Ich möchte jedem Bürger der Stadt einen Baum schenken«, sagt Timon. »Das ist meine Bedingung.«
    »Und wie soll das abgewickelt werden?«
    »Die Bürger sollen zu mir kommen.«
    »Alle? Hierher in den Wald?«
    »Ja.«
    »Aber dieses Geschenk … ein Baum für jeden … wie sollen all diese Bäume in die Stadt transportiert werden?«
    »Gar nicht«, sagt Timon. »Die Bäume bleiben im Wald. Die Bürger sollen sich daran aufhängen!«
    Und nun rast er. Alle Schimpfwörter, die er in seiner Einsamkeit gefunden und erfunden, ausprobiert und für ausreichend schändlich empfunden hat, schleudert er den feinen Senatoren an den Kopf. Und sie laufen aus dem Wald, und Timon wirft ihnen seinen Dreck nach.
     
    Athen ist nicht untergegangen. Alkibiades hat die Stadt nicht zerstört. Das Unmaß des anderen Hasses hat seinen eigenen Haß gelöscht. So gesehen, hat Timon die Stadt tatsächlich gerettet. Alkibiades erklärte sich zu Verhandlungen mit dem Senat bereit. Es wurde getauscht. Der Senat gab dem Alkibiades den Freund heraus. Alkibiades ließ dafür die Stadt in Ruhe. Als Mehrwert für Alkibiades wurde sein Generalsgehalt erhöht. Als Mehrwert für die Stadt baute er dafür die Verteidigungskräfte aus.
    Und dann kommt Nachricht aus dem Wald: »Timon lebt nicht mehr.«
    Er hat sich in die Erde gewühlt. Und hat sich selbst den Grabstein aufgesetzt. Und hat auf den Grabstein geschrieben: »Hier liegt einer, der alle haßt.«

König Lear
    Der König ist ein alter Mann geworden. Nur wenige Menschen leben noch, die sich an die Zeit erinnern, als er zum König gekrönt wurde. Die Kinder sagen: »Kann es einen anderen König denn überhaupt geben?« Die Jungen fragen: »Was war vor Lear?« Die Alten aber sorgen sich: »Was kommt nach Lear?«
    Lear wird respektiert, er wird verehrt – und er wird geliebt. Er sei ein warmherziger Mann, heißt es. Und er sei ein barmherziger Mann. Jeder kennt einen, der einen kennt, der die Warmherzigkeit und die Barmherzigkeit des Königs bezeugen kann: »Er erzählt, er habe den König aufgesucht, und der König habe ihn gefragt, was kann ich für dich tun, und er habe gesagt, nichts, und der König habe gefragt, warum kommst du dann zu mir, und er habe gesagt, mein Herz ist so schwer, und ich weiß nicht warum, und der König habe ihn nicht weggeschickt, sondern habe gesagt,

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