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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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fummelte wieder an seiner Hose. Der Reißverschluss war offen. »Kaum zu glauben«, sagte er endlich. »So ein ranziger Wischmob, älter als meine Mutter, und hat solche Dinger! Wie ’ne junge Schickse.«
    Es roch einen Moment lang nach versengten Haaren; wahrscheinlich hatten sie im Aschenbecher gelegen. Ein Knie auf der Couchkante, beugte er sich über die Frau, pustete eine Fluse weg, zog an einer eingesunkenen Warze und walkte dann, als wären sie aus Teig, mit beiden Händen ihre Brüste durch. Dabei entstanden Abdrücke von seinen Fingern, kleine Mulden, und er stieß einen wohligen Knurrlaut aus und zwinkerte mir zu. »Die volle Pracht! Na los, du Messdiener, guck’s dir an! Das kriegt man nicht alle Tage.«
    Ich runzelte zwar die Brauen, trat aber näher, und tatsächlich kam mir die Partie vor, als gehörten sie nicht zu dem, was ich sonst von Frau Morian sah. Die Haut am Hals und an den Schultern war runzelig, und die Oberarme hatten gelbe und grünliche Flecken, doch ihre Brüste, etwas blasser als der übrige Körper, ragten makellos empor, mit dunklen Warzenhöfen, und ich musste an Doris Pasewalk denken, an ihre engen Pullover, unter denen sie nicht immer Büstenhalter trug. Und vielleicht war ich deswegen kurz unachtsam.
    Die Federung knarrte, und blitzschnell langte Raskin über die Liege und packte mein rechtes Handgelenk, umklammerte es fest. Trotz seines Grinsens sah ich die Kälte hinter den blauen Augen, und ich bog den Oberkörper zurück und stemmte mich gegen seine Absicht. Ich zitterte vor Anstrengung, knirschte sogar mit den Zähnen. Doch er war stärker; die Muskeln an seinen Unterarmen traten hervor, und die Faustknöchel wurden weiß. »Hör auf!«, keuchte ich. »Bitte ...«
    Auf dem Boden war kaum Halt zu finden. Die Magazine unter meinen Füßen rutschten, Gläser und Flaschen klirrten gegeneinander, ein alter Blechwecker kippte um, und obwohl ich Angst hatte, panische, weil mir das Wort Leichengift einfiel, musste ich plötzlich schmunzeln, keine Ahnung warum. Aber dadurch verlor ich einen Lidschlag lang die Spannung, und mit einem Ruck – fast wäre ich über die Frau gefallen – drückte Raskin meine Hand auf ihre Brust.
    »Na, wie ist das, Kleiner? Nicht übel, oder?« Sein Goldzahn glänzte. »Die erste Titte deines Lebens! In die nächste wirst du reinbeißen, das schwör ich dir. Kriegst du schon ein Rohr?«
    Ich schüttelte den Kopf. Den Atem anhaltend, zog ich die Lippen nach innen und presste die Lider so fest zusammen, dass es brannte. Raskin sollte mich nicht weinen sehen; er würde es jedem erzählen. Und obwohl es vielleicht töricht war, wollte ich auch nicht, dass Frau Morian mich weinen sah, denn ihre Brust fühlte sich wirklich unglaublich an; nie vorher hatte ich derart zarte Haut berührt. Sie war kalt, was mich zuerst erschreckte, doch durch die Wölbung kam sie mir auch wieder warm vor, als wäre sie noch lebendig und würde es immer sein. Ich fing an zu beten, lautlos natürlich, und erst als ich Raskins Stimme in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes hörte, wurde mir bewusst, dass er meine Finger gar nicht mehr festhielt. Langsam nahm ich sie weg und wischte sie an der Hose ab.
    Er stand vor dem Schrank mit den Sammeltassen und kippte den Inhalt eines Schubfachs auf den Boden: Formulare, Briefe, getrocknete Blüten. Mit der Fußspitze schob er alles auseinander. »Was meinst du?«, fragte er und bückte sich nach einem silbernen, mit Pailletten bestickten Täschchen. Ein winziges Fernglas war darin. »Ob wir sie kurz pimpern können? Die ist doch noch gut, oder? Wir legen was übers Gesicht ...«
    Ich blickte auf den Mund der Frau, die falschen Zähne, zwischen denen es Speisereste gab, und war mir nicht sicher, ob er es ernst meinte; vielleicht wollte er mich testen. Doch das Herz schlug mir im Hals, und meine Stimme war fast nur noch Atem, als ich sagte: »Was soll denn das heißen? Bist du verrückt?«
    Er betrachtete mich durch das Opernglas. »Na wieso? Die merkt ja nichts mehr. Die schwebt schon im Himmel.« Dann steckte er es ein, trat wieder an die Couch und öffnete das Kettchen an der Fessel. »Komm, ich zeig dir, wie man’s macht. Was ist denn dabei. Meine Cousine lernt im Krankenhaus, Intensivstation, und die üben immer das Rasieren an den Toten oder wie man ihnen Nadeln und Schläuche reinschiebt. Das geht ganz leicht.«
    Auch der Fußschmuck verschwand in seiner Jeans, und schließlich hob er das Federbett an und blickte darunter. Die Luft

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