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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Relikten: unter Essensresten, Fetzen von Kleidung und Schuhen, Waffenteilen wie einer Degenscheide, die zur Requisite gehört haben könnte.

    Gravur am Griff der Gabel, die im Rose Theatre ausgegraben wurde.
    Wer sich in den 1590er Jahren in London einen schönen freien Tag machen wollte, ging nach Southwark am Südufer der Themse, und gutes Essen gehörte unbedingt zum gesuchten Vergnügen. Man aß im Theater, aß auch, wenn man seinen Spaß bei einer Bären- oder Stierhatz suchte. Und wenn junge Kerle ausgingen, wenn ihr Ausflug zuletzt wahrscheinlich in ein Wirtshaus oder ein Bordell führte, gehörte Essen auch dort zu den gebotenen Vergnügungen. Sexhinterlässt meist nicht viele Spuren, die Archäologen untersuchen könnten, Essen und Trinken schon – und das gilt, überraschenderweise, in Shakespeares London auch für den Theaterbesuch und das ganze Drumherum.
    Julian Bowsher vom Museum of London Archaeology, der Pionierarbeit leistete bei der Ausgrabung elisabethanischer Theaterhäuser, beschreibt, wie ein Besuch dort ablief:
«Wenn man in einem playhouse der Shakespearezeit ankam, ging man zum Haupteingang, zahlte dort einen Penny Eintritt: Dem Besucher präsentierte der gatherer die irdene, grün glasierte Gelddose, die, einem Sparschwein ähnlich, einen Schlitz aufwies. Dahinein kam der Penny. Von diesen moneyboxes sind uns nur Scherben geblieben, denn sie wurden anschließend hinter der Bühne zerdeppert, die Münzen wanderten in die große, in jenem Hinterzimmer verwahrte Geldkiste – der wahrscheinliche Ursprung des englischen Wortes box office (Theaterkasse).»
    Die öffentlichen Theater im London der Shakespearezeit waren eine völlig neue (sehr kommerzielle) Form der Unterhaltung, die sich an alle Gesellschaftsschichten wandte. Ein Hinweis darauf, wie lukrativ diese Unternehmen waren, geben die Gelddosen: Ihre Scherben machen ungefähr einFünftel der identifizierbaren Keramikreste aus, die in elisabethanischen Theatern ausgegraben wurden. Die Dosen waren so verbreitet wie heute Kassenschalter oder Kreditkartenleser; jeder Theatergänger, ob er Hamlet sehen wollte oder Heinrich V. , schob sich an ihnen vorbei. Shakespeare war, ungewöhnlich für einen Theaterautor, Teilhaber des Globe und als solchem stand ihm ein Anteil des Gewinns zu – hier entsprang sein großer Reichtum. Das Geräusch, wenn die Gelddosen am Ende des Tages aufgeschlagen wurden, wird er mit Vergnügen gehört haben.

    Eine Gelddose aus dem 16. Jahrhundert. Eine solche Dose wurde auch im Rose und im Globe zum Einsammeln des Eintrittsgeldes verwendet.
    Sobald die Besucher ihr Geld in den Schlitz gesteckt und den Theaterraum betreten hatten, nahm, wie es scheint, das Essen – das Kaufen und Verkaufen, das Aufknacken und Verzehren – einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit in Beschlag. In den Grabungsproben haben Botaniker ein ganzes Spektrum von Lebensmitteln identifizieren können. Beliebt waren Nüsse, auch, ob getrocknet oder frisch, Früchte in Mengen: Trauben, Holunderbeeren, Pflaumen, Birnen, Kirschen. Und Meeresfrüchte aller Art wurden verzehrt: Muscheln, Strand- und Spitzschnecken, selbst Tintenfischreste waren nachzuweisen. Vor allem aber fand man, in großen Mengen, Austernschalen: kein Wunder, denn sie waren damals ebenso beliebt wie billig. Oyster-wenches , Mädchen, die Austern feilboten, gehörten zum Straßenbild elisabethanischer Städte, und weil man, um Austern zu öffnen, ein Messer braucht, war das Messer, wie es die meisten Männer bei sich trugen, weniger Waffe als Essbesteck. So pulten die groundlings , die Besucher auf den ebenerdigen Stehplätzen, die Meeresfrüchte aus ihren Schalen, verspeisten sie und ließen die Schalen einfach fallen. Zu billigen Plätzen gehörte billige Kost. Getrunken hat man im Theater nachweislich Bier und Ale, von anderen Getränken gibt es keine Spur. Als das Globe 1613 abbrannte, wurden die brennenden Hosen eines Mannes mit bottle ale gelöscht. Das perlende Ale trank man aus Flaschen, und eine verbreitete Klage galt dem zischenden Geräusch, wenn die Flaschen im Theater geöffnet wurden – heute hört man Beschwerden über knisternde Chipstüten und Bonbonpapiere.
    Wer viel isst und trinkt, muss sich irgendwann auch erleichtern, dafür allerdings trafen die Theater, wie Julian Bowsher sagt, keinerlei Vorsorge:
«Wir haben den unangenehmen Verdacht, dass die Männer dunkle Ecken nutzten. Und einiges deutet darauf hin, dass sich Frauen spezielle Flaschen mitnahmen. Wenn ein

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