Shampoo Planet
Stephanie auch tat, obwohl sie mich nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte und das Begleichen solcher Rechnungen überhaupt nicht zu ihrem Charakter paßte, wie ich später feststellen sollte.
Stephanie und ihre Freundin Monique, die auf dem Beifahrersitz saß, verfrachteten mich auf den Rücksitz des Wagens, wobei mein Kopf über der Rückenlehne hin und her schlenkerte wie bei einem dieser Wackelkopf-Hunde, und fuhren die ganze Nacht mit mir in Paris umher, um mir alles zu zeigen. Wie man mir später erzählte, entging ich nur knapp dem Verkauf in die Sklaverei, und zwar an eine Clique Transvestiten am Bois de Boulogne für eine Stange Marlboro, und eine Matrone, die auf der Avenue Sebastopol ihren Dackel Gassi führte, wäre um ein Haar für 'n Appel und 'n Ei in den Besitz eines Hausboys gelangt.
Jedenfalls erwachte ich am nächsten Morgen mit brütenden Wüstenspringmäusen im Gehirn, doch ansonsten ohne ernstlichen Schaden, kühl und bequem unter Stephanies Baumwoll-Daunen-Steppdecke in ihrer Mansardenwohnung im sechsten Stock.
Stephanie und Monique preßten Orangen aus in einer Küche, die aussah wie ein Mittelschulchemielabor, voller Ausschnitte aus »Elle«-Magazinen, einer Sammlung Essigflaschen und herrenlosen Kaffeetassen mit einem breiten Spektrum farbenfroher Lippenstiftränder.
»Guten Morgen, Mr. America«, rief sie mir durch das sonnige, mit verstreuten Kleidungsstücken gepflasterte Apartment zu. »Komm rüber zum petit de jeuner. Du mußt ganz schön Hunger haben.«
24
Stephanie.
Während Anna-Louise glücklich wäre, zu Hause Bibelbezüge für die Armen häkeln zu dürfen, grenzt Stephanies Egoismus beinahe an Autismus; bis zum Morgengrauen schleppte sie mich von hier nach da, zwang mich, sie auf Cocktail-Drängeleien des Grauens zu begleiten, bot niemals an, für ihre Getränke selbst zu bezahlen, und das alles, um mich dann in letzter Minute stehenzulassen und in einem plötzlichen, sentimentalen Anflug von Heimweh mit dem ersten morgendlichen RER-Zug hinaus zu ihren Eltern nach Neuilly zu fahren.
Wie egoistisch ist Stephanie eigentlich? Im Bett bat ich sie, meine Lieblingsstelle zu kratzen, genau hinter den Ohren, aber sie tat dies nicht ein einziges Mal, weil das Kratzen dann nur zu einer ihrer Aufgaben hinzukäme, die sie routinemäßig würde ausführen müssen. »Wie langweilig« (ausgesprochen: »longweilig«, Stephanie spricht die Vokale nie richtig aus). Einfach entzückend.
Von jenem ersten Morgen an blieb ich in Stephanies Wohnung. Kiwi brachte meinen Rucksack aus der Herberge herüber und wurde selbst ein Teil unseres Feuerstein-Sommer-Haushalts, indem er sich mit Monique paarte und an unseren Sommerritualen teilnahm, die darin bestanden, daß wir uns selbstgefällig nicht mehr als Touristen, sondern als Einheimische fühlten und ich morgens mit trockenem Hals aufwachte, weil ich im Schlaf Französisch geübt hatte. Wir sonnten uns auf dem Dach von Stephanies Rue-Mallet-Stevens-Apartment (aus elterlichem Fonds), sonnencremeglänzend, und Stephanies und Moniques sonnenbebrillte Gesichter wirkten wie Zeitlupenaufnahmen von Zinnien, die sich nach der Sonne drehen. Wir gaben viel zuviel für Limonaden aus, und betrachteten den Sonnenuntergang über Paris vom Dach des Centre Pompidou aus, um danach hinunter auf den mit Euro-Pöbel übervölkerten Platz zu gehen und uns über die Straßenkünstler lustig zu machen oder dem Countdown der Sekunden bis zum Jahr 2000 auf der Digitaluhr zuzusehen.
Stephanie ist ein reiches Mädchen aus einer einflußreichen bourgeoisen Familie. Sie ist eine Art Gelegenheitsstudentin, die sich die Kurse in (ausgerechnet) Chemie damit vertreibt, ihre fast unberechenbare Freizeit in gepfeffert teuren Restaurants und mit dem Kauf von Klamotten zu verpulvern, im Labor unappetitliche kleine Vorstellungen auszuhecken und modemäßig gegen ihresgleichen zu Felde zu ziehen, wobei sie ihre Anstrengungen als Selbstverteidigung rechtfertigt. »Dein Äußeres ist alles in Paris, Tyler, tout.« Auf dem Fenstersims über der Spüle in Stephanies Küche steht die Essigflaschen-Sammlung - erlesene in Flakons abgefüllte Lösungen, gewürzt mit Estragonzweigen, knorrigem Rosmarin und ganzen Salven von Pfefferkörnern - kleine, köstliche, handabgefüllte, aber tote Ökosysteme. Daheim in Lancaster unterhält Anna-Louise ein Terrarium.
Sind Vergleiche fair?
Stephanie hat kurzes schwarzes Haar, Anna-Louise dagegen langes weizenblondes. Kannibalen würden
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