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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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… später?«
    »Dann kannst du einem Orchester angehören. Du verdienst am Anfang nicht viel, aber du wirst davon leben können. Und geht das Orchester auf Tournee, kommst du überall hin. Und es ist sogar möglich – aber das sage ich nur, um dir Mut zu machen –, dass du am Anfang einer bedeutenden Karriere als Solistin stehst …«
    Ich starrte sie an. Ihre Worte tönten wie ein fernes Echo in meinem Bewusstsein. Schmerzen und Zweifel fielen von mir ab. Es war ein neues Fühlen in mir, ein Licht, das mich fast blendete. Ich werde darüber nachdenken müssen, dachte ich. Später. Jetzt war ich nicht in der Lage dazu.
    »Ist das wahr?«, flüsterte ich rau. »Ist das wirklich wahr?«
    Sie legte ihre Hand auf meine.
    »Es wird wahr werden. Glaub es einfach! Ich verspreche es dir.«

11. KAPITEL
    Lela hielt Wort. Ein paar Tage später erzählte sie mir, dass sie mit dem Professor gesprochen und ihm von mir berichtet hatte. Robert Castaldi hatte sofort Interesse gezeigt. Er hatte Lela den Vorschlag gemacht, sie in Beaver Creek zu besuchen und mich bei dieser Gelegenheit vorspielen zu lassen.
    »Er wollte schon lange mal kommen. Das sei, meinte er, eine gute Gelegenheit. Aber zuerst geht er mit dem kanadischen Staatsorchester auf Tournee. In Europa beginnt die Saison der Festspiele: München, Salzburg, Luzern, Aix-en-Provence. Nach seiner Rückkehr ruft er mich an und wir machen einen Termin aus. Und in der Zwischenzeit wird geübt«, setzte Lela verschmitzt hinzu. »Castaldi soll sein blaues Wunder erleben!«
    Wie ich mich fühlte? Als ob ich mich auf etwas freute, das nie richtig eintreffen würde. Träume werden nicht real. Oder doch? Ich konnte es nicht sagen. Inzwischen wurde es August. Der Sommer wehte durch meine Adern, das Gras duftete warm. Schwärme von Mücken tanzten unter den Bäumen. Lela fuhr für ein paar Tage nach Seattle, wo sie Freunde hatte. Täglich stand ich ein paar Stunden an der Zapfsäule, kontrollierte Autoreifen, wischte Scheiben sauber. Die Tage waren drückend heiß, der Benzingestank machte mich duselig, aber nachts atmete ich die würzige Waldluft ein, die mich erfrischte und beruhigte. Das Wichtigste waren meine Übungen – alles andere zählte nicht. Mit Übereifer machte ich mich daran, verschiedene Stücke auswendig zu lernen. Ich hatte den Wunsch, zu spielen, immerzu zu spielen, als ob alles Leben nur Echo war, eine farbige Fortsetzung der Musik. Und sobald ich übte, vergaß ich alles. Sogar Elliots Anwesenheit störte mich nicht mehr. Ich merkte kaum noch, dass er da war. In letzter Zeit trank er weniger, hatte ich den Eindruck, aber ich mochte mich täuschen. Eines Abends, als es mir gelungen war, die »Siziliana« von Bach ohne Noten zu spielen, fragte er: »Kann ich hereinkommen?«, und trat zögernd ins Zimmer. Ich warf mein Haar aus dem glühenden Gesicht.
    »Ja?«, sagte ich misstrauisch.
    Er bedachte mich mit einem langen, merkwürdigen Blick.
    »Wie du spielen kannst! Ich hatte das früher nie geschafft.«
    Vielleicht war es genau das, was ich von ihm hören wollte? Zum ersten Mal seit langer Zeit lächelte ich ihm zu.
    »Geige spielen ist alles, was ich kann.«
    Elliot kratzte sein Haar, das an den Schläfen immer dünner wurde.
    »Tja, ich weiß nicht, wie du das machst, aber es hört sich gut an.«
    »Ich habe eine gute Lehrerin«, sagte ich stolz, bevor ich den Geigenkasten zuklappte. Er merkte, dass ich ihn nicht mehr beachtete, und schlurfte stumm hinaus.
    Es wurde September, bald fing die Schule wieder an. Ich machte mit, aus Gewohnheit sozusagen, war aber nie richtig bei der Sache. Lela ließ mich dösen, als ob das Thema sich von selbst erledigt hätte. Umso strenger behandelte sie mich beim Geigenunterricht, ließ mich mein Repertoire, das immer umfangreicher wurde, jedes Mal von Anfang bis Ende durchspielen und wieder und wieder von vorn anfangen. Als ob das alles furchtbar wichtig war und sie jede Lektion packen, pressen, zusammenfassen musste. Sie schien ungeduldig und reizbar, gleichzeitig müde und überdreht. Und immer in Eile, von Unruhe erfüllt. Was war nur mit ihr los? Mich brachte sie fast an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit, ich wurde ungeschickt, zweifelte an mir selbst, machte absurde Fehler. Aber sie ließ nicht locker und ich hielt durch. Ich war nicht eine, die aufgab.
    Der Herbst kam spät; bis Anfang November war der Himmel blau und klar. Die Bäume glühten feuerrot. Nachts sank die Temperatur, der Boden war hart gefroren. Endlich

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