Shana, das Wolfsmädchen
dasselbe von mir?
Er schien zu zögern, blickte angestrengt in seine Cola, nahm einen Schluck.
»Shana, hör zu … ich muss dir etwas sagen. Die Sache mit dem Kleid, erinnerst du dich? …«
Ich starrte in meine leere Tasse. Nicht nur mein Gesicht, nein, alles in mir schien zu glühen. Alec sah verlegen aus, dabei war es sonst gar nicht seine Art. Auch ihm war die Sache peinlich.
»Ich wusste das nicht vorher, verstehst du? Fiona hat mir dann gesagt, wie es war.«
Mein Mund war trocken, ich konnte kaum sprechen.
»Deine Mutter … wie hat sie das erfahren?«
»Ach, der übliche Klatsch, du weißt schon. Fiona war wütend auf Elliot. Sie sagte, so was tut man nicht. Da ist mir vieles klar geworden. Warum hast du mir nichts gesagt?«
Mein Herz schlug hart an die Rippen.
»Entschuldige, ich konnte einfach nicht klar denken. Ich … ich schämte mich so. Ich wollte nicht, dass man über meinen Vater redete. Das musst du doch verstehen!«
»Sicher.«
»Es war idiotisch.«
Er schüttelte den Kopf.
»Überhaupt nicht. Ich an deiner Stelle …«
»Ja, nicht wahr?«
Er schaute mir direkt in die Augen und diesmal wandte ich den Blick nicht ab.
»Ich meine, wenn diese Sache jetzt passiert wäre, da hätte ich mit dir reden können. Aber damals, nein. Das war ein echtes Problem für mich.«
Er runzelte die Stirn.
»Wir haben die ganze Geschichte verpatzt, oder?«
»Ich habe vieles falsch gemacht.«
»Ich auch«, gab er zu.
Die Zeit schien plötzlich langsamer zu gehen. Der Druck auf meiner Brust lockerte sich. Vielleicht war doch nicht alles so kaputt zwischen uns, wie ich dachte. Vielleicht konnten wir es noch einmal versuchen. Aber dann veränderte sich etwas in seinem Blick. Er holte tief Luft. Und ich hatte das Gefühl einer Katastrophe.
»Shana, ich will ganz ehrlich zu dir sein. Du kannst ja davon halten, was du willst, aber die Sache zwischen uns, die lässt sich nicht zurückholen. Da stimmt jetzt vieles nicht mehr. Schicksal, oder so ähnlich. Siehst du, die Leute, bei denen ich wohne, die haben eine Tochter. Sie geht zur Filmschule wie ich. Und … und wir verstehen uns sehr gut.«
In meinen Ohren summte die Stille, füllte sich allmählich mit Musik. Jemand ließ eine CD von Paula Abdul laufen. Die Musik quälte mich, aber sie war da, überall, ich konnte ihr nicht entfliehen. Ich sagte, sehr leise: »Hast du … hast du kein Bild von ihr?«
»Doch.«
Er wühlte in seiner Windjacke, brachte eine Brieftasche zum Vorschein. Sichtlich verlegen zog er ein Bild heraus und zeigte es mir. Ein braun gebranntes Mädchen, lachend. Über ihre Stirn fielen dunkle Locken, das übrige Haar hatte sie nach hinten gekämmt. Das gelbe T-Shirt ließ ihre Arme frei, der linke Träger war auf den Oberarm gerutscht. Das Foto war auf der Segeljacht aufgenommen worden. Das Mädchen blickte gelöst, ihre Augen blinzelten kaum im Geglitzer der Wellen.
Ich schluckte.
»Wie heißt sie?«
»Juline«, sagte Alec.
Ich fragte nicht, ob er sie liebte: Ich sah es an seinem Blick.
13. KAPITEL
Das Rauschen des Regens schwieg bei Tagesanbruch. Die Temperatur begann zu sinken, ich spürte die Kälte in den Knochen wie die alten Frauen. Türen und Fenster knarrten. Die Nebel brachen auseinander und die Morgensonne kam durch. Aber der Himmel zeigte Winterfarbe. Das war kein Irrtum. Er war sehr hoch und sehr klar, von einem merkwürdig scharfen Blau. Es war Samstag und ich hatte schulfrei. Am Nachmittag hatte ich Geigenunterricht. Als ich meinen alten Pullover anzog, sah ich den ausgeribbelten Ärmel. Ich strickte gern; hätte ich die richtige Farbe, könnte ich den Ärmel ausbessern. Als ich zum Warenhaus fuhr, fiel mir auf, dass der Schlamm bereits trocknete. Gelb gefärbte Blätter lagen wie Schoten zusammengerollt unter den Sträuchern. Es war wirklich kalt geworden, meine Nase lief und der scharfe Wind brannte mir in den Augen. Im Warenhaus fand ich nicht die Farbe, die ich suchte. Also kaufte ich braune Wolle als Kontrast. Ich würde die Ärmel neu stricken und einen Rollkragen dazu. Ich hatte ein ähnliches Modell in einer Modezeitschrift gesehen, das mir gut gefiel. Als ich nach Hause fuhr, war es noch kälter als vorher.
Die Wolken hatten eine wirklich komische Farbe, ein fast grünliches Blau. Das Licht stand im seltsamen Winkel schräg über dem Haus, das mir plötzlich verwittert und schief vorkam. Als Melanie noch lebte, sagte sie zu Elliot, mach dies, mach das, und er besserte die Dinge aus. Jetzt waren zwei
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