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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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wissen das, aber die Weißen haben das vergessen. Aus lauter Dummheit sehen viele von ihnen in unschuldigen Tieren das Böse und bringen sie auf grausame Weise um. In Wirklichkeit sind Tiere die geliebten Kinder Gottes, während wir unseren Schöpfer verleugnen und verraten.«
    Sie wandte sich um, nahm den Geigenkasten aus dem Schrank, öffnete ihn und überreichte mir das Instrument. Diesmal war mein Griff weniger ungeschickt, ich wusste, wie ich sie zu halten hatte. Lela brachte mir bei die Geige zu stimmen. Sie legte ihre Hand auf meine und führte sie. Ich weiß nicht, welche Gefühle ich empfand, eine merkwürdige Mischung zwischen Scheu und Liebe. An diesem Tag spielte ich meine ersten Töne. Es waren nur ein paar Akkorde, aber sie erfüllten mich mit nie gekanntem Glück. Lela schien es nichts auszumachen, dass ich von Musik kaum eine Ahnung hatte.
    »Das ist schon in Ordnung.Über die Technik kann man endlos diskutieren. Aber Musik ist keine Theorie, Musik ist ein tiefes Geheimnis, ein Gefühl. Und hat dich die Musik einmal gepackt, wirst du ihr folgen, sind ihre Wege auch schwer und steil.«

9. KAPITEL
    Bald wurden die Tage kürzer, Herbstwind kreiste in den Bäumen, nasse Blätter färbten sich in rostiges Gold, als hätte die Sonne sich darin verwickelt. Es roch nach feuchtem Zedernholz und Kälte. Zu jener Zeit sagte mir Lela, mein Gehör sei besonders fein ausgeprägt. Tatsächlich war für mich sogar die Stille laut. Ich hörte die Schritte schleichender Tiere, das Summen der Bienen, das Knistern der fallenden Blätter, Geräusche, die andere nur kaum oder gar nicht wahrnahmen. Ich wusste nicht, woran das lag, es war mir einfach angeboren. Außerdem hatte ich sehr flexible Daumen und Finger, sodass ich bald in der Lage war, den Wert und die Klangdauer jeden Tones mit dem Gehör zu prüfen. Als ich das Spiel von Oktaven als Doppelgriffe lernte, stellte Lela fest, dass meine Ohren die tiefen wie auch die höheren Töne mit gleicher Leichtigkeit wahrnahmen. »Das ist gut«, erklärte sie mir. »Du brauchst nicht besonders auf das Hören der tieferen Töne geschult zu werden. Manche Schüler haben nämlich die schlechte Angewohnheit, den tieferen Ton zu laut zu spielen, bloß um ihn besser zu hören.«
    Es wurde Winter. Zuerst rieselte der Regen nur, wurde dann stärker, floss in Strömen. Das Wasser prasselte Tag und Nacht, Erdbrocken und Schlamm überschwemmten die Straßen. Die Tiere verloren ihr Sommerfell. Die Vögel fraßen so viel sie konnten und flogen nach Süden. Bald kam der Frost. Die Fenster knarrten. Unter dem dunklen Himmel heulten die Stürme, brachten Schnee. Die Bäume bogen sich unter dem Gewicht, manche brachen unter der weißen Last zusammen. Die Luft roch frisch und sauber und schmerzte in den Lungen. Krähen hinterließen den Abdruck ihrer Flügel im Schnee. Aber unter der Erde steckten Samen, die auf den Frühling warteten. Und im März schmolz der Schnee unter den Strahlen der Sonne. Tausend Bäche überfluteten die braunen Wiesen. Bis sie sich in einen einzigen Teppich aus Gräsern verwandelten und auf dem kleinsten Flecken Erde leuchtende Blumen wuchsen. Den Ablauf der Monate maß ich an meinen Fortschritten. Lela brachte ihre Zufriedenheit mit ihrem Lächeln, ihren Blicken zum Ausdruck, denn mit Lob ging sie zurückhaltend um. Manchmal schien sie mich sogar kaum zu beachten. Sie kehrte mir den Rücken zu, beschäftigte sich mit dem Korrigieren von Heften oder sah völlig in Gedanken versunken aus dem Fenster. Aber beim geringsten Fehler fuhr sie herum, ertappte mich buchstäblich auf frischer Tat und sparte nicht an Kritik. So verging die Zeit. In der Schule gab es wenig, was mich interessierte. Das beunruhigte mich. Was sollte bloß aus mir werden, wenn ich nur fähig war Musik zu machen und zu nichts anderem? Aber alle Zweifel und Befürchtungen verschwanden, sobald ich die Geige hielt und ein Motiv anstimmte. Lela hatte mir erlaubt die Übungsgeige mit nach Hause zu nehmen, sodass ich täglich üben konnte. Sie hatte mir erzählt, dass sie am liebsten draußen spielte, im Wald oder am Bachufer.
    »Die Geige ist ja aus Holz gemacht. Auch der Wind, wenn er durch die Bäume streicht, erzeugt Musik. Da ich ein Mensch bin, kontrolliere ich die Akkorde. Aber im Grunde ist es dasselbe: Die Geige ist singende Natur.«
    Mich begeisterte dieser Gedanke. Sobald das Wetter besser wurde, spielte ich auf der Veranda. Auch ich gewann bald das Gefühl, dass die Geige unter freiem Himmel

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