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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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hin und her. Erst jetzt begann ich zu verstehen, was das Ganze bedeutete. Zwischen mir und meiner Kindheit verlief eine Mauer. Die Dinge würden nie wieder sein, wie sie vorher waren. Mir blieb eine Chance, eine einzige nur. Der Vorfall würde vielleicht im Lokalblatt erwähnt werden. In Vancouver nicht. Außer Elliot wusste keiner, dass ich mit Castaldi in Verbindung stand. Und Elliot würde dichthalten, aus Schuldgefühl und Scham. Und in Vancouver selbst? Da würde ich mir eine Arbeit suchen, irgendeine. Gewiss musste ich misstrauisch sein; es gab genug Mädchen, die in Bordellen landeten. Aber vielleicht half mir Castaldi. Und wenn ich ein Stipendium bekam, war ich meine Sorgen los.
    Aber wie kam ich nach Vancouver? Mit dem Rad? Zu riskant! Erwischte mich eine Polizeistreife, war ich geliefert. Per Anhalter? Später vielleicht, wenn ich weit genug weg von Beaver Creek war. Die Überlandstraße machte einen großen Bogen ostwärts, durch den Nationalpark war die Entfernung kürzer. Zu Fuß würde ich die Strecke in fünf oder sechs Tagen schaffen. Proviant hatte ich nicht viel. Aber im Wald gab es Beeren und mit den Streichhölzern konnte ich nachts Feuer machen, um mich zu wärmen. Ich dachte an die Wölfin. Im Nationalpark mochten Bären oder Elche gefährlich für mich sein; die Wölfin könnte sie fern halten. Aber Wölfe verlassen erst dann ihr Revier, wenn sie nicht mehr genug zu fressen haben. Der Gedanke, dass ich ohne sie von hier fortgehen musste, erfüllte mich mit Traurigkeit.
    Lela, meine Freundin, dachte ich, du hast mich getröstet, als ich einsam war, wir haben zusammen Musik gemacht. Ich werde dich nie vergessen. Aber jetzt muss ich gehen.
    Ich stopfte meinen Geigenkasten in den Rucksack, was ihn noch schwerer machte, richtete mich auf und stapfte durch das Morgenlicht. Das Gras war nass vom Tau, der Himmel schillerte fast grünlich. Im Dickicht reiften Walderdbeeren. Ich pflückte eine Hand voll, stopfte sie gierig in den Mund. Als ich mich umwandte, sah ich die Wölfin unter einem Gebüsch liegen. Sie lag völlig ruhig, die Pfoten ausgestreckt, die Ohren zurückgelegt. Sunke Nagi hatte das Bild von einer Wolfsmutter gemalt, die in dieser entspannten Haltung ihre spielenden Welpen überwachte. Mein Atem stockte. Woher wusste Lela, dass ich hier war? Hatte sie meinen Geruch erkannt? Sie klopfte leicht mit dem Schwanz auf den Boden, als ob sie sich auf die Musik freute. Sie konnte natürlich nicht ahnen, dass ich sie jetzt für immer verlassen würde. Wölfe misstrauen stehenden Menschen. Deswegen näherte ich mich ihr in gebückter Haltung und kniete nieder, sodass unsere Köpfe fast auf gleicher Höhe waren.
    »Keine Musik, heute, Lela!«
    Tränen liefen mir über die Wangen; ich wischte sie mit dem Handrücken weg.
    »Ich muss fort. Wir werden uns nie wieder sehen. Ich bin so traurig. Wenn du wüsstest!«
    Ich kraulte sie unter dem Kinn, spielte mit ihren Ohren. Die Wölfin ließ ein Winseln hören, streckte die Schnauze vor und leckte mir leicht die Wange. Doch sie blieb aufmerksam. Etwas an meinem Verhalten mochte ihr merkwürdig vorkommen. Oder wusste sie schon die ganze Zeit alles, was in mir vorging? Doch ich durfte keine Zeit verlieren, schon stieg die Sonne. Ich streichelte Lela ein letztes Mal.
    »Leb wohl!«, flüsterte ich. Kroch zurück, erhob mich und ging. Kein Geräusch hinter mir, nichts. Doch als ich nach einer Weile über meine Schulter blickte, sah ich, dass mich die Wölfin begleitete, wie sie lautlos durch das Buschwerk huschte. Blieb ich stehen, hielt sie auch an, bewegte leicht den Schwanz hin und her und wartete. Es war genau wie damals, nach dem Unfall, als sie mir in der Dunkelheit gefolgt war.
    Mein Herz schlug stürmisch. Wie groß war ihr Revier? Riesengroß? Irgendwann würde sie mich im Stich lassen, aber vielleicht nicht heute. Ich hatte eine lange Reise vor mir. Und ich brauchte eine Beschützerin.

22. KAPITEL
    Der Wald erstreckte sich unendlich weit, schweigsam und lebendig. Seit Stunden wanderte ich im Schatten dichter Blaufichten. Die kupfernen Stämme glichen Türmen, die sich aus den Schatten der Vorzeit steil in den Himmel reckten. Vor tausenden von Jahren waren sie aus einem Samenkern entstanden. Nun krallten sie ihre mächtigen Wurzeln tief in die Erde, gruben durch Felsen und Höhlen nach Wasser.
    Sie atmeten die Sonne ein, schüttelten sich in Winterstürmen. Sonderbar, dieser Wald! Die großen Verkehrsstraßen, die Dörfer, die Städte schienen wie

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