Shanera (German Edition)
ausstrahlende Wärme und das leichte Vibrieren der Wand machten das Schiff und sein unbegreifliches Eigenleben spürbar. Dumpfes Grollen mischte sich mit leisem Summen und gelegentlichen knackenden Geräuschen. Shanera glaubte auch ein leises Rauschen zu hören, als ob Wasser durch die Wand hinter ihrem Kopf lief.
Vielleicht konnte sie etwas meditieren? Aber es gelang ihr nicht, sich zu konzentrieren.
In ihrer Tasche fand sie ein abgegriffenes, hölzernes Etwas. Es war der kleine geschnitzte Vogel, der die letzte Verbindung zu ihrer Kindheit darstellte. Ihr Vater hatte in ihr gemacht. Sie wusste noch genau, wie sehr sie sich über sein unerwartetes Geschenk gefreut hatte, auch wenn sie sich sonst kaum mehr an ihn erinnern konnte. Sein Gesicht war in ihrem Gedächtnis schon lange verblasst, genau wie das ihrer Mutter.
Was blieb ihr schon? Sie hatte keine Familie, war nicht mehr Teil der Dorfgemeinschaft, und jetzt gab es auch noch mit ihren wenigen Freunden Probleme. Ob sie ihre erste Liebe jemals wieder sehen würde, war ungewiss. Und selbst wenn sie es schaffte, so wusste sie nicht, was Gira wirklich für sie empfand.
Sie streichelte den Kopf des kleinen Vogels mit dem Daumen. Der Tag, bevor ihre Eltern verunglückt waren, hatte wahrscheinlich die letzten unbeschwerten Stunden ihres Lebens gesehen. Seitdem sie begriffen hatte, dass ihre Eltern nicht wiederkommen würden, hatte sie immer kämpfen müssen, um nicht beiseite geschoben zu werden und unterzugehen. Manchmal hatte sie es satt.
„Was machst Du denn hier?“
Shanera schreckte auf. Noor stand über ihr und schaute sie misstrauisch an.
„Nichts. Ich, äh …“, stotterte Shanera verlegen. Sie steckte den Holzvogel weg und erhob sich etwas ungelenk.
„Brauchst Du was aus dem Eingangsraum?“
„Ja. Genau.“ Shanera ergriff den angebotenen Ausweg. „Ich wollte etwas aus meinem Rucksack holen. Wäre nett, wenn Du mich durch die Tür lassen könntest.“ Sie deutete auf den stets verschlossenen Durchgang zum Eingangsbereich.
Noor schien kurz ihr Gesicht zu studieren, dann nickte er.
„Wir sind unterwegs und das Außentor ist verschlossen, also kein Problem. Du weißt ja, dass Du nichts Gefährliches mit ins Schiff nehmen kannst.“
„Ja, keine Angst.“
Noor öffnete die Tür und begleitete Shanera in den spärlich beleuchteten Vorraum mit den Fluggeräten. Sie holten den Rucksack aus seinem Fach und Shanera kramte darin herum, bis sie etwas gefunden hatte: Giras Leuchtholz, das jetzt völlig dunkel war. Sie zeigte es Noor.
„Das dürfte kaum gefährlich sein, oder?“
„Wohl kaum. Wir werden es ja sehen.“
Shanera packte den Rucksack wieder weg und wollte gerade durch die Tür zurückgehen, als ihr aus dem Augenwinkel etwas auffiel. Am anderen Ende des Raums meinte sie, halb im Schatten, eine bekannte Gestalt zu sehen.
Sie ging ein paar Schritte darauf zu. Ein zusammengesunkener Vogel lag in einem durchsichtigen Kasten. Shanera kniff die Augen zusammen.
Es war ein Gerokjäger, und er erinnerte sie sehr an Windbote.
„Ist er … tot?“, fragte sie Noor und ging noch näher heran.
„Dazu müsste er erst mal gelebt haben.“, erwiderte Noor etwas geistesabwesend.
Shanera drehte sich überrascht zu ihm um.
„Wieso, was meinst Du damit?“
Als Noor nicht antwortete, fasste sie vorsichtig in den Kasten und strich dem Vogel über die Federn. Er fühlte sich kalt an, sah aber ansonsten frisch und gesund aus, als schliefe er nur. Doch gab es keine Atemzüge und keine Regung. Shanera war sich jetzt fast sicher, dass es Windbote war. Die Musterung des Federkleids stimmte, genau wie die Größe.
„Er ist mir die ganze Zeit über gefolgt. Seit wir über dieses Schneefeld gelaufen sind. Warum soll er nicht gelebt haben? Was habt ihr mit ihm gemacht?“
Noor schüttelte den Kopf. „Ich habe schon zu viel gesagt.“
Shanera überlegte. „Als Windbote sich uns angeschlossen hat – das war am Tag, nachdem wir dieses fliegende Ding gesehen haben … Wir waren ziemlich weit im Norden! Das war ein Schiff wie dieses hier, nicht wahr? Vielleicht war es auch zu Eurer Basis unterwegs. Und der Vogel hat etwas damit zu tun?“
Noor blickte genervt. „Vergiss es einfach. Wir müssen wieder zurück, also komm.“
Er bugsierte sie zur Tür. Shanera wollte keinen Streit und ließ sich hinausbegleiten. Sobald sich die Tür geschlossen hatte, verschwand Noor hastig im den Ysrens vorbehaltenen Teil des Schiffs.
Zumindest hatte sie das Leuchtholz
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